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Europäische Heuchelei

Die Europäer sehen sich ja selbst gerne als die Verteidiger der Menschenrechte und -würde. Gerne zeigt man da auch mit den Fingern auf andere und läßt eigene Fehler unter den Tisch fallen. Nun habe ich nichts dagegen, wenn auf die Verletzung von Menschenrechten hingewiesen und versucht wird, das zu beheben. Aber den Maßstab nur an andere anzulegen, ist blanke Heuchelei.

Zur Zeit streiten sich die Europäer darüber, ob sie evtl. entlassene als unschuldig geltende Guantanamo-Häftlinge bei sich aufnehmen oder nicht. Im Moment schauen ja alle gerne und hauptsächlich nach Amerika, wo der Messias auch nur Menschen versuchen, Lösungen für große Probleme zu finden. Das trifft sich gut, denn so können die Europäer vermeiden vor der eigenen Tür zu kehren, bzw. mal den Blick auf die eigenen Menschenrechtsverletzungen zu werfen und da aktiv zu werden.

Da wäre z.B. dieser europäische Außenposten namens Lampedusa. Eine Insel, die mal für ihre traumhafte Schönheit bekannt war, nun aber zu einer Art europäischen Alcatraz verkommt. Ich ziehe meinen Hut vor den Bewohnern von Lampedusa, die schon seit Jahren versuchen mit ihren sehr beschränkten Mitteln den afrikanischen Flüchtlingen zu helfen, die jedes Jahr zu Tausenden, häufig mehr tot als lebendig, auf ihrer Insel landen - vorausgesetzt sie sind nicht schon vorher elendig auf dem Meer umgekommen.

Die italienische Regierung hält es offenbar für keine schlechte Lösung, die afrikanischen Bootsflüchtlinge einfach still und leise auf dieser von Rom weit entfernten Insel zu lassen. Inzwischen ist das Lager überfüllt, mehr als doppelt so viele Flüchtlinge, als vorgesehen, leben dort oder besser vegetieren mittlerweile dort.

Die Helfer vor Ort sind überfordert und fühlen sich allein gelassen, nicht nur vom italienischen Staat sondern auch von Europa. Die sanitären Anlagen im Lager sind nicht mehr ausreichend, die Versorgung der Flüchtlinge ist schwierig - gestern mußten italienische Armeeflugzeuge Lebensmittel einfliegen, weil das Wetter so stürmisch ist, dass Versorgungsboote nicht anlanden konnten und obendrein sehen sich viele Insulaner in ihrer eigenen Existenz ernsthaft bedroht, denn Touristen kommen immer weniger. Wer möchte schon in seinem Urlaub mit anlandenden halb verhungerten und verdursteten Afrikanern am Strand konfrontiert werden? Da gibt es doch reichlich Ausweichmöglichkeiten, wo die Strände auch schön sind und einem garantiert keine (wohlmöglich sogar toten) Bootsflüchtlinge vor die nackten Füße gespült werden.

De Bewohner von Lampedusa richten ihren Frust nicht auf die afrikanischen Bootsflüchtlinge. Zu deutlich ist deren eigene katastrophale Situation vor ihren Augen. Stattdessen versuchen die Bewohner von Lampedusa so etwas wie Öffentlichkeit über die Medien zu erreichen und zwar wieder nicht nur die italienische Öffentlichkeit sondern die europäische Öffentlichkeit. Die afrikanischen Bootsflüchtlinge, gehen uns Europäer nämlich alle an, und nicht nur die Menschen auf Lampedusa.

Was also tun die Europäer, vor allem unsere Politiker, um sowohl den afrikanischen Bootsflüchtlingen als auch den Menschen auf Lampedusa wirklich effektiv zu helfen? Der Winter ist übrigens auch auf Lampedusa kein Honigschlecken, schon gar nicht, wenn es an Unterbringungsmöglichkeiten, Decken, etc. fehlt.

Wo bitte ist die europäische Sorge um die Menschenrechte, wenn es um Lampedusa und die afrikanischen Bootsflüchtlinge geht? Oder mißt man da plötzlich mit einem anderen Maß und tut nichts aus dem Kalkül heraus: wenn sich nur in Afrika herumspricht, unter welch erbärmlichen Verhältnissen die Flüchtlinge in den Lagern leben müssen und dass sie eh alle zurückgeschickt werden, dann bekomme man das Problem in den Griff. Wobei ich stark bezweifle, dass diese Rechnung aufgeht.

Aber vielleicht wollen wir alle auch warten, bis aufgrund der katastrophalen hygienischen Zustände im Lager, Cholera oder sonstwelche Seuchen ausbrechen. Und immerhin berichten ja unsere Medien hier und da doch über die Situation auf Lampedusa, das dürfte wohl erstmal genügen, was das europäische Engagement für die Menschenrechte auf dem eigenen Kontinent angeht. Oder?

Die Strategie, einfach nicht hinschauen, einfach nicht zur Kenntnis nehmen, führt ja wenn man es nur lange genug durchzieht manchmal auch zu einer Lösung. Also einfach weiter angestrengt über den großen Teich schauen und sich da für Menschenrechte stark machen - was ist eigentlich mit dem Thema Todesstrafe, President Obama? - dann löst sich das Problem vor der eigenen Haustür vielleicht ganz von allein. Vielleicht gibt’s ja einen Tsunami, der einfach alle Flüchtlinge und die aufmuckenden Lampedusianer (oder wie immer man die bezeichnet) ins Meer spült.

12 Gedanken zu „Europäische Heuchelei

  1. Danke für diesen sehr nötigen Hinweis. »Wir« Europäer haben ein großes Gebiet und hätten viel Grund vor der eigenen Haustüre und im eigenen Haus Dinge auf die Reihe zu bringen.

  2. Albanien hat schon Guantanamo-Häftlinge aufgenommen

    die Ärmsten wissen eben, wie es den Ärmsten geht

  3. Da hab ich jetzt ein bisschen drüber nachdenken müssen und auf Lampedusa will ich auch nicht eingehen, wohl aber auf die Titelzeile. Mir sind zwei Sachen bitter aufgestoßen: Acht! Jahre lang wird Israels Süden mit Qassam-Raketen beschossen und Europas Politiker scheren sich einen Dreck drum. Es war doch klar, dass es eines Tages dort knallen würde. Warum hat man nicht vorher versucht, etwas in Gang zu setzen. Aber dann, wenn Krieg ist und die große politische Bühne aufgebaut ist, dann stehen sie alle da und wollen sich Lorbeeren verdienen: Mr. Friedensstifter, Frau Ach-so-wichtig.
    Dasselbe mit Guantanamo. Viel zu wenig hat die Weltöffentlichkeit da getan, viel zu wenig protestiert.
    Aber die meisten Politiker haben anderes im Kopf. Deshalb sind alle von Obama so begeistert, weil er einige Sachen wieder zurechtrücken will und es ja auch macht. Man braucht eben immer wieder Hoffnung.

  4. Auch wenn meine Meinung sicherlich nicht populär ist: Die Gefangenenlager der Guantanamo Bay Naval Base und die Flüchtlingslagern auf Lampedusa oder den Kanaren finde ich nicht vergleichbar. Im ersten sitzen viele, zum Teil unschuldige Verschleppte, im zweiten wohnen illegal Eingewanderte.

    Klar ist, dass weder Verschleppte noch illegal Eingewanderte gefolter werden dürfen, noch menschenunwürdig untergebracht werden sollten. Doch anstatt einen Ausbau der Flüchtlingslagerkapazitäten zu fordern, halte ich es für besser, die illegal Eingewanderten konsequent in ihre Herkunftsländer auszuweisen, sofern sie nicht Asyl suchend sind. Denn illegal in andere Länder einzuwandern ist beim besten Willen kein Menschenrecht.

  5. @ Julius - Ich habe nirgendwo gefordert, dass die illegal Eingewanderten nicht abgeschoben werden. Was ich bemängelt habe ist, das die Flüchtlinge in Lampedusa in einem total überfüllten Lager unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen und sich die italienische Regierung bzw. die Europäer nicht groß weiter darum kümmern sondern im Gegenteil noch Anordnungen geben (die Italiener), die die Situation noch verschärfen und die Bewohner von Lampedusa größtenteils mit dem Problem allein lassen. Dass in Guantanamo eine andere »Klientel« sitzt als in Lampedusa ist natürlich auch klar, trotzdem haben beide Gruppen das Recht menschenwürdig behandelt zu werden - was Du ja auch bejahst.

  6. @Julius:

    Denn illegal in andere Länder einzuwandern ist beim besten Willen kein Menschenrecht.

    Aber es gibt lt. internationaler Menschenrechtskonventionen doch zumindest die Menschenrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Was ist denn, wenn diese Menschenrechte in den Herkunftsländern der Flüchtlinge nicht gewährleistet sind? Ist es dann Deiner Ansicht nach kein Verbrechen, wenn man sie dahin zurückschickt, obwohl man weiß, dass man sie damit dem Hungertod oder einem gewaltsamen Tod in Kriegs- oder Krisengebieten ausliefert?
    Das wäre das eine, was ich einwenden möchte. Und dann hätte ich noch ein paar weitere Gegenfragen: Warum sollten Menschen aus anderen Ländern sich überhaupt unserem Einwanderungsrecht unterwerfen? Oder anders gefragt: Warum sollten sie denn anerkennen, dass wir (einheimische Europäer) das alleinige Recht beanspruchen, auf europäischem Boden zu leben? Haben wir sowas wie einen Besitzanspruch auf die Länder, in denen wir geboren werden (obwohl das ja nicht unser Verdienst ist, sondern purer Zufall)? Und falls ja, wiegt der Deiner Meinung nach schwerer als die von mir genannten Menschenrechte?

    Abschließend meine Meinung in aller Kürze: Kein Mensch ist illegal!

  7. @Iris
    Menschen in Kriegsgebiete zurückzuschicken ist klar ein Verbrechen, das habe ich aber weder gefordert noch befürwortet. Solchen Menschen muss Asyl gewährt werden. Bei Hungerkatastrophen bin ich der Ansicht, dass es Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft ist, das Problem zum einen schnell und effizient, zum anderen aber auch langfristig und nachhaltig zu »lösen«, wobei der Akzent auf Hilfe zur Selbsthilfe liegen sollte. Ich persönlich finde zudem, dass »Entwicklungshilfe« auch stärker an Fortschritte in der Menschenrechtspolitik geknüpft sein sollte, als sie es heute ist.

    Deine Haltung zum Besitzanspruch von Boden, zum Staatenkonzept ist zwar sehr nett, die Welt wäre sicherlich eine andere, das dafür benötigte Menschenbild leider auch. Nun ist die Situation, wie sie ist und im Prinzip ist alles von der (Un)Gnade der Geburt abhängig. Ich als Deutscher habe das Recht, meinem Wohnsitz im gesamten Bundesgebiet frei zu wählen, im EU-Europa und Schengenraum genieße ich gewisse Freiheiten, dann hört es aber auch schon auf. Egal in welches andere Land der Welt ich migrieren wollte: Ohne Visum geht da gar nichts. So sind die Spielregeln, mit denen wir ganz gut gelebt haben, mit denen wir aus meiner Sicht ganz gut leben und auch die nächsten Jahrzehnte leben werden.

    In diesem Sinne ist kein Mensch illegal, denn das spräche ihm ja die Existenzberechtigung ab; er kann sich aber illegal irgendwo aufhalten.

  8. @Julius:

    Menschen in Kriegsgebiete zurückzuschicken ist klar ein Verbrechen, das habe ich aber weder gefordert noch befürwortet. Solchen Menschen muss Asyl gewährt werden. Bei Hungerkatastrophen bin ich der Ansicht, dass es Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft ist, das Problem zum einen schnell und effizient, zum anderen aber auch langfristig und nachhaltig zu »lösen«, wobei der Akzent auf Hilfe zur Selbsthilfe liegen sollte. Ich persönlich finde zudem, dass »Entwicklungshilfe« auch stärker an Fortschritte in der Menschenrechtspolitik geknüpft sein sollte, als sie es heute ist.

    Ja ja, das klingt ja auch alles sehr nett. Aber was sollen denn die Menschen in Krisen-, Kriegs- und Hungerregionen konkret machen, bis die internationale Staatengemeinschaft all diese Probleme in den Griff gekriegt hat und/oder sich geeinigt hat, welches Land denn nun wie viele Asylbewerber nach welchen Bedingungen aufnehmen soll - solange brav abwarten und sterben (und zwar wie es sich gehört in ihren Herkunftsländern, damit sie unsere europäische Ordnung nicht durcheinander bringen)? Würdest Du das machen, wenn es z.B. Deine Familie wäre, die vor Deinen Augen verhungern würde oder täglich der Gefahr ausgesetzt wäre, gewaltsam getötet zu werden und Du könntest in Deinem Geburtsland nichts dagegen tun? Offen gesagt wäre es mir - angesichts solcher Perspektiven - wahrscheinlich auch schnuppe, ob es nach europäischem Recht illegal wäre, wenn ich woanders bessere Ãœberlebenschancen für mich und die meinen suche. Legal, illegal, sch***egal … tze, mit welchen Sanktionen kann man denn Menschen drohen, die eh nichts mehr zu verlieren haben, außer ihr nacktes Leben?

    So sind die Spielregeln, mit denen wir ganz gut gelebt haben

    Na klar, wir leben ganz gut damit. Wir haben aber auch das Glück, (zufällig!) auf der Butterseite der Welt geboren zu sein. Aber mit Gerechtigkeit hat das m.E. nichts zu tun, wenn die mächtigen und reichen Nationen den armen und ohnmächtigen ihr ‘Recht’ aufzwingen. Die gegenwärtigen ‘Spielregeln’ sind in meinen Augen ein Unrechtssystem, das etabliert wurde, um den First-Class-Weltbürgern die Pfründe zu sichern - und zwar zu Lasten der anderen.

  9. @Iris
    Bei den von dir dargestellten Fällen (mit Ausnahme der Hungerkatastrophe) gilt das Recht auf Asyl (Art. 14 der Erklärung der Menschenrechte). Ich möchte dies klarstellen, damit nicht der Eindruck entsteht, ich spräche irgendwem dieses Recht ab.

    Im Falle einer Hungerkatastrophe erscheint es mir nicht zweckdienlich, zu flüchten, denn die Katastrophe geht vorüber und die landwirtschaftlichen Flächen müssen neu bewirtschaftet werden. Eine Flucht der arbeitsfähigen Bevölkerung führte geradewegs in einen Teufelskreis. Klar ist, dass die akute Gefähdung/Bedrohung durch internationale Organisationen wie die FAO abgewendet werden muss.

    Zu den »Spielregeln«: Ich denke, wir kommen überein, dass wir in diesem Punkt verschiedene Positionen vertreten. Ich verstehe deine Position und respektiere sie, vertrete selbst aber eine andere.

  10. Ich freue mich, daß ich beim googeln diesen Blog bzw. dieses Thema gefunden habe.

    Daß die afrikanischen Flüchtlinge nicht so spektakulär in den Medien auftauchen wie z.B. Guantanamo oder Gaza, scheint ganz klar daran zu liegen, daß sich hier keine Ideologien gegenüberstehen. Es geht nicht um die Verteidigung »westlicher Werte«. Die sub-saharischen Länder stellen nur bezüglich der dortigen Bodenschätze einen Wert dar. Die Menschen werden weiterhin als mit der europäischen Gesellschaft nicht kompatibel betrachtet.

    Was auch immer wieder übersehen wird: Die meisten Flüchtlinge sind jüngere Menschen, die eigentlich dringend im eigenen Land gebraucht würden. Hinzu kommt, daß die jüngeren und gebildeten Afrikaner ebenfalls ihr Heil im »Westen« suchen und so weiter zur Verelendung der Zurückbleibenden beitragen. (Das ist kein Vorwurf an jene, die gehen, sondern an jene, die keine effektive Hilfe zur Selbsthilfe leisten, um ein weiteres Ausbluten der afrikanischen Gesellschaften zu verhindern.)

    Ich selbst habe keinen Vorschlag, um die Situation in Afrika zu verbessern (bin nicht gerade ein Visionär!), aber als ich vor Jahren diese Organisation entdeckt habe

    http://www.sahel.de/

    konnte ich nur das tun, was ich kann: finanziell unterstützen. Was dort geleistet wird, ist angesichts der vielen Probleme möglicherweise nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber ich bin sicher, daß die jungen Leute, die dort Alternativen zu Elend, Armut und Fatalismus kennengelernt haben, dafür sorgen werden, daß andere die gleiche Erfahrung machen. Schade, daß es nicht mehr solcher Pioniere wie Katrin Rohde gibt.

  11. Hallo Andrea!

    Vielen Dank für Deinen Kommentar zum Thema und auch für den Hinweis auf die Webseite von Sahel e.V. Ich habe mich gleich mal gründlich dort umgesehen!

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