Ich erinnere mich nicht, dass ich in meinem Elternhaus gezielt an Kultur herangeführt wurde. Mein Vater hatte eine recht umfangreiche Schallplatten-Sammlung (die schwarzen Scheiben mit den Rillen drin) mit klassischer Konzertmusik und der ein oder anderen Oper. In meiner Kinderschallplatten-Sammlung gab es »Peter und der Wolf« von Sergei Prokofjew. Die Schallplatten meines Vaters hörte ich aus eigenem Antrieb, meist wenn ich allein zuhause war.
Meine Mutter war mehr für die Bücher im Haus verantwortlich. Mit Kinder- und später Jugendbüchern wurde ich auf eigenes Verlangen großzügig ausgestattet. Was die Literatur für Erwachsene anging, war das schon nicht mehr der Fall, weil meine Eltern wegen meines ausufernden Lesekonsums fürchteten, ich würde sonst als Leseratte (ver-)enden. Zum Glück gab es eine gute Stadtbibliothek, in der ich mich dann selbständig eindeckte.
Irgendwann mal, als ich ungefähr 12 Jahre alt war, gingen meine Eltern mit mir in die Operette »Der Vogelhändler«. Keine Ahnung, warum und wie sie ausgerechnet auf diese Operette verfallen waren. Erklärungen dazu gab es weder vorher noch nachher. Ich beguckte mir das bunte Gewusel auf der Bühne, hörte mir das Geträller an und war nur mäßig beeindruckt (tatsächlich war ich glaube ich schon an die klassische Musik vergeben).
Ein wenig später ging es dann in Mozarts Zauberflöte. Die gefiel mir damals etwas besser als »Der Vogelhändler«, ließ in mir aber den Verdacht aufkommen, alle Opern und Operetten hätten was mit Vögeln zu tun (offenbar hat in der damaligen Aufführung Papageno den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen), was ich seltsam fand. Zum Glück fand ich später noch heraus, dass es auch vogelfreie Opern gibt. Aber wie gesagt, ich war längst an die klassische Musik verloren. Einige Opern bzw. Arien und Chöre sind ganz toll, Operetten hingegen können mich bis heute so gar nicht vom Hocker reißen.
Überhaupt keine Rolle spielten Theater und Tanz (also weder der klassische Ballett-Tanz, geschweige denn zeitgenössischer Tanz, etc.). Das Thema »Ballett-Unterricht« tauchte in meinem Elternhaus nie auf. Beides Schauspiel und Tanz entdeckte ich erst recht spät; wieder aus eigenem Antrieb. Leider aber wohl doch etwas zu spät, als das ich noch richtig hätte Feuer fangen können. Mir fehlen da einfach meistens der Zugang und das Verständnis für das, was sich da auf der Bühne abspielt. Hier und da habe ich mal eine Theateraufführung gesehen, meist als Aufzeichnungen im Fernsehen. Das waren dann oft preisgekrönte oder zumindest -verdächtige Inszenierungen und die ein oder andere davon hat mich wirklich gepackt und beeindruckt und das vage Gefühl hinterlassen, dass ich vielleicht doch das ein oder andere verpasse, wenn ich um Theater eher einen kompletten Bogen mache.
Ähnlich geht es mir mit Tanz. Einige Aufführungen klassischer Ballett-Stücke habe ich natürlich gesehen und war recht beeindruckt. Eher zufällig gerate ich hin und wieder - wieder über das Fernsehen - auch in Aufzeichnungen von Tanz-Inszenierungen. Ich finde es sehr interessant, was die Tänzer mit ihren Körpern so alles anstellen, die Beweglichkeit, Eleganz und Ausdrucksstärke. Allerdings fürchte ich, ich bin, wenn es um Tanz geht, ungefähr so wie ein Kind, das ein Bilderbuch durchblättert und sich dafür begeistern kann aber noch keinen blassen Schimmer hat, dass es und was es für literarische Meisterwerke gibt.
Ich bin sozusagen ein Tanz-Analphabet. Negativ begünstigend wirkt in dieser Hinsicht wohl auch, dass ich insgesamt eher ein Mensch bin, der grundsätzlich nicht sonderlich körperfixiert ist. Ich weiß, ich habe einen Körper aber für mich ist der Körper schlicht ein Körper, der mir vieles ermöglicht. Sicher, der Körper ist ein Meisterwerk mit erstaunlichen und manchmal sogar faszinierenden Abläufen. Das weiß ich zu würdigen. Ich käme aber nie auf die Idee, meinen Körper quasi als eine Art zu optimierendes Produkt anzusehen. Ich lausche nicht ständig in meinen Körper hinein, ich fühle mir nicht ständig den Puls, ich verfalle nicht in Panik, sobald mein Körper mal einen kleinen Aussetzer zu haben scheint. Ich weiß, ich bin sterblich, sprich, mein Körper bzw. Teile davon werden früher oder später anfangen zu versagen und irgendwann sogar ganz zerfallen. Wir Menschen haben - egal was andere uns erzählen - ein Verfallsdatum. Mit diesem Wissen dürfen und müssen wir leben. Soweit so gut, die kurze Zusammenfassung meines Verhältnisses zu meinem Körper. Vor diesem Hintergrund finde ich es dann aber eben auch faszinierend, wie genau Tänzer ihre Körper kennen, austesten, trainieren und manchmal auch malträtieren.
Ich glaube verstanden zu haben, dass Tanz eine Art eigene Sprache ist. Und es fasziniert mich manchmal einem Tänzer zuzusehen und zu versuchen, zu verstehen, welche Sprache er da gerade spricht und was er mit seinem Körper sagt und ausdrückt.
Besonders zwei Tänzer sind mir mehrfach aufgefallen. Der eine ist Akram Khan mit seiner Company.
Sehr gefallen haben mir die Ausschnitte aus seinem Projekt »in-i« (2008) in dem er zusammen mit Juliette Binoche tanzt. Dieses Stück würde ich sehr gerne mal live im Ganzen sehen. Hier ein kleiner Ausschnitt bzw. eine kleine Zusammenfassung des Tanzprojekts
Auch die Ausschnitte aus seinem Stück »desh« (2011) haben mich beeindruckt und fasziniert. Ich würde es gerne mal komplett und live sehen.
Und dann ist da noch das Projekt »vertical road« (2010), das mich ebenfalls live sehr locken würde.
In einem Interview mit ihm, das ich kürzlich sah, sagte er etwas, was mich seither gedanklich sehr beschäftigt und tatsächlich dazu verleitet hat, mal genauer auf meinen Körper zu achten bzw. in ihn hineinzuhorchen. Er sagte: »Der Körper ist für mich wie ein Museum, der alles speichert. Alles, was die Eltern und Großeltern getan haben. Der Körper schreibt auch Geschichte.«
Der ein oder andere wird jetzt vielleicht die Augenbrauen hochziehen und leise vor sich hinbrummeln »Binsenwahrheit«. Vermutlich ja. Dass unser Körper eine eigene Geschichte schreibt, war mir natürlich auch klar aber ich habe ausser in einem bestimmten medizinischen Kontext nie weiter darüber nachgedacht. Der Gedanke, dass unser Körper eine Art Museum ist, in dem sich nicht nur unsere individuelle Geschichte ausdrückt, sondern in Teilen auch die unserer Eltern und Großeltern oder anderer uns nahestehender Menschen, der hat mich gepackt und beschäftigt mich gerade sehr.
Der andere Tänzer, der mich sehr mit seiner tänzerischen Arbeit beeindruckt, ist Sidi Larbi Cherkaoui mit seinen Tanzprojekten. Es ist nicht so, dass mich alle seine Projekte begeistern, aber es sind doch einige darunter, die finde ich faszinierend.
Übrigens haben Akram Khan und Sidi Larbi Cherkaoui sogar mal ein Projekt zusammen gemacht (von dem ich weiß - ich weiß, dass ich [fast] nichts weiß). Das war das Projekt »zero degrees« (2005). Spannend, diese beiden Tänzer neben- und miteinander agieren zu sehen.
Von Sidi Larbi Cherkaoui würde ich gerne mal sein Stücke »Babel(words)«, »puz/zle« und »Dunas« live sehen. Hier in derselben Reihenfolge die Ausschnitte aus den Stücken:
Mich würde nun mal wirklich interessieren, wie ist Euer Verhältnis zum Tanz, egal ob nun Ballett oder Zeitgenössischer Tanz. Könnt Ihr dem etwas abgewinnen? Habt Ihr selbst mal Ballett-Stunden gehabt und Ballett getanzt? Seid Ihr schon mal bei der Aufführung von solchen Tanz-Projekten gewesen oder gar auf einem großen Tanz-Festival? Habt Ihr einen Lieblingstänzer/in oder Dance Company? Einen Lieblings-Choreographen wenn es um Tanz geht? Wenn Ihr Euch auskennt mit Tanz, welche Stücke oder Projekte würdet Ihr einem Tanz-Analphabeten oder Tanz-Novizen empfehlen, damit er oder sie richtig Feuer fängt?
Hallo aus dem Westerwald :)
Da ich selber mal getanzt habe, »muss« ich natürlich meinen Senf dazu geben :) Aus Zeitgründen fiel das Tanzen dann irgendwann leider weg, aber wenn entsprechende Musik läuft, dann »juckt« es mich und wenn ich allein zu Haus bin, dann geb ich dem »Jucken« auch mal nach ;) Und dankbar bin ich, dass unsere Tochter auch gern durchs Haus tanzt :) und bei Musik in Bewegung gerät :)
Ganz arg liebe Grüße an dich und euch!
Da hast du mich auf wippendem Fuß erwischt, denn Tanz ist neben der Literatur meine große Liebe und es fällt mir schwer, mich kurz zu fassen. Da ertanzte ich mir als Kind aus Spontanität einen Preis, versuchte es mit Ballett und konnte mich für die starre Haltung und Handlung nicht so recht begeistern. Ich wechselte zur Gymnastik, was mich nach Stuttgart trieb, wo ich in die Anfänge des Ausdruckstanzes von Duncan etc. eingeweiht wurde und die großartige Zeit von Cranko und Haydee erleben durfte.
In England kam Modern Dance hinzu und diese Mischung aus Ausdruckstanz, Bewegungsfreude und rhythmischer Begleitung hat mich mein Leben lang geprägt und fasziniert.
In kleinem Rahmen gab ich dies an meine Tanzgruppe (Mobile) weiter und dieses Jahr zum 30jährigen gab es ein Treffen mit Erinnerungsaustausch von gemeinsamen Auftritten und den daraus resultierenden Erlebnissen.
Inzwischen ist es nur noch ein passive Liebe, da fehlt dann doch die Disziplin des Balletts, aber die Begeisterung ist weiterhin vorhanden und nach Möglichkeit sehe ich mir Aufführungen live oder zumindest via TV an.
Und da hatte mich die Kulturzeit genau so neugierig gemacht wie dich bei der Akram Khan Company, einfach faszinierend.
Was mir nicht so zusagt ist der Gesellschaftstanz, doch auch da gibt es eine Ausnahme:
http://de.wikipedia.org/wiki/Le_Bal_%E2%80%93_Der_Tanzpalast
den ich in Spanien auf der Bühne sah und den es auch im Netz in Sequenzen oder komplett zu sehen gibt.
Oder natürlich als Tanztheater den Wenders Film: http://www.pina-film.de/
Und dann sind die großen Shows unterwegs wie: http://www.ballet-revolucion.de/ oder Rasta Thomas http://www.youtube.com/watch?v=dU3HSyKYTL8
Am liebsten aber waren mir schon immer die kleinen Tanzprojekte wie jenes der gläsernen Bühne unter der wir Zuschauer lagen und die Tänzer über uns hinwegschwebten, dazu gibt es allerdings keinerlei Konserven außer wunderbaren Erinnerungen.
Mein persönliches Fazit ist ein Dank an den Tanz, der mir so viel gegeben hat, mich auszuleben, auszuloten und auszudrücken, Frust wegzutanzen, Gefühle in Bewegung umzusetzen - einfach eine unendliche körperliche und emotionale Erfahrung.
Die deutsche Tanzkompanie in Neubrandenburg wäre noch zu erkunden….
Liebe Grüße aus der Provinz :-)
@ KaSiLe - Was hast Du denn getanzt? Ballett? Oder die üblichen Standardtänze? Oder gar Tango?
Ich finde es ja immer total toll, wenn irgendwo auf der Straße Tango getanzt wird. Das letzte Mal hab ich das in Berlin gesehen. Berlin soll sich ja zu einer der »Hauptstädte des Straßentangos« entwickeln bzw. entwickelt haben. Ich könnte da echt stundenlang zusehen.
@ Gabriele - Ist ja sehr interessant, was Du hier zu diesem Thema zu erzählen hast. Der Name Cranko sagt mir gar nichts. Bei Duncan und Haydee klingelt weit entfernt etwas. Werde ich mal nachforschen.
Bei Youtube habe ich den Film »Le Bal« in voller Länge gefunden. Den werde ich mir bei Gelegenheit mal anschauen. Klingt von der Beschreibung her jedenfalls interessant. Ich bin gespannt.
Ja, Pina Bausch und ihre Company ist mir natürlich ein Begriff und auch von Wim Wenders Dokumentation habe ich natürlich einiges gehört. Mal sehen, ob ich mal irgendwo, irgendwie Gelegenheit bekomme, den Film zu sehen.
Die beiden großen Shows unterwegs sind, fürchte ich, eher nicht so mein Fall.
@Liisa: Standardtanz gab es in der Tanzstunde ;) Aber mit Freude habe ich in ner Gruppe Jazz- und Streetdance betrieben :) Nix Spektakuläres, aber Spass hat’s trotzdem gemacht :) Liebe Grüße