Mit wenigen Worten (evtl. sogar mit nur einem, nämlich »Pferdemädchen«) ist es Anne und Silent Tiffy seit gestern gelungen, tief verschüttete Traumata bei etlichen weiblichen Bloggern und Twitterern aufzurühren. Über solche Traumata zu sprechen (bzw. zu schreiben) soll da ja helfen und so sammeln sie jetzt die Geschichten von erfolgreichen und gescheiterten Pferdemädchen und leider, leider hat das Stichwort »Pferdemädchen« auch bei mir etwas aufgerührt und darum hier mein Beitrag.
Ich glaube, das erste Mal wurde ich mir der tatsächlichen Existenz von Pferden auf diesem Erdball bewusst, als wir nach Bonn gezogen waren. Da war ich ca. 8 Jahre alt. Natürlich hatte ich schon vorher Bilder von Pferden gesehen und auch schon das ein oder andere über Pferde gehört bzw. gelesen. Hauptsächlich sogar gelesen, denn die kamen z.B. in Karl May Büchern überdurchschnittlich oft vor. Bis zu unserem Umzug hatte ich sie allerdings für so eine Art »Fabelwesen« gehalten, ähnlich wie Drachen, Einhörner oder das Seeungeheuer Nessie. Ich hielt übrigens auch Kühe, Schweine etc. für Fabelwesen. Ich kam aus einer Millionenstadt und hatte diese Tier schlicht noch nie zuvor in freier Wildbahn gesehen.
Am dem Umzug folgenden ersten Sonntag wurde der übliche Sonntagsspaziergang gestartet. Sonntagsspaziergänge standen auf meiner Favoritenliste nicht gerade an erster Stelle, aber dieses Mal war es etwas anderes, denn es bedeutete, die neue Umgebung etwas kennenzulernen. Gleich hinter der Mietshaussiedlung, in die wir gezogen waren, lag der sogenannte »Kottenforst«, der heutzutage zum Naturpark Rheinland gehört. Soviel zusammenhängenden Wald hatte ich bis dahin noch nie gesehen und so kam mir schon das wie das reinste Abenteuerland vor. Wir zuckelten also brav auf den dafür vorgesehenen Wegen los und nach einer Weile kamen wir plötzlich an zwei langgestreckten flachen Gebäuden vorbei.
Ich weiß noch, wie lustig ich es fand, als plötzlich die Pferdeköpfe in den Boxentüren erschienen, um zu schauen, wer da vorbei lief. Die Lustigkeit währte nur einen kurzen Augenblick, denn ehrlich: ich war beim Anblick der Pferde gebührend baff! Aufgrund der Bilder von Pferden, die ich schon gesehen hatte, konnte ich sie nämlich sofort als Pferde identifzieren. Da standen also meine Fabeltiere, leibhaftig und dampfende Pferdeäpfel produzierend, vor mir. Ich fand das ziemlich aufregend und recht interessant aber der berühmte Funke sprang nicht über. Angst hatte ich nicht wirklich vor den Pferden, eher Respekt vielleicht war ich aber auch einfach zu überrascht.
Nicht lange danach lernte ich die ersten Nachbarskinder kennen und natürlich meine neuen Klassenkameraden. Darunter waren einige, die schon Pferdemädchen waren oder auf dem direkten Weg dorthin. Der Anteil dieser Mädchen an der Gesamtzahl der vorhandenen Mädchen war enorm hoch.
[Einschub: Später entwickelte ich die These, dass es daran gelegen haben könnte, dass die meisten entweder echte Dorfmädchen waren, die von klein auf mit Pferden konfrontiert waren, oder aus Familien stammten, deren männliche Mitglieder schon seit Generationen dem Militär eng verbunden waren. Inzwischen hieß das Militär nicht mehr Militär sondern Bundeswehr und geritten wurde dort längst nicht mehr, aber in diesen Familien war das Reiten nicht einfach nur ein »Hobby«, sondern eher eine Art »Traditionspflege« und obendrein häufig auch eine Art »Erinnerungsritual« an die Großväter und Urgroßväter, die einstmals als Husaren, Dragoner oder Ulanen auf feurigen Rossen dahergesprengt waren. In einigen der Familien gab es auch geraunte Geschichten von Großvätern, die sich Dank eines halbverhungerten Pferdes durch den letzten großen Krieg gerettet hatten oder sich auf einem solch armen Gaul gerade noch durch Flucht vor der drohenden Verschleppung ins tiefste Sibirien hatten retten können.]
Infolgedessen lernte ich fast gleichzeitig mit den Pferden auch kennen, was »Gruppendruck« bzw. »Gruppenzwang« ist. Reiten war (neben Tennis) DER angesagte Sport für Mädchen. Entweder man konnte mitreden oder eben nicht. In letzterem Fall, war man quasi aussen vor. Wer mag schon gerne außen vor sein? Eben!
Also verbrachten wir die Nachmittage meist auf der Reitanlage und bestaunten die Pferde und ihre Pfleger oder saßen auf der Tribüne in der Reithalle und beobachteten wie die Reiter unten in der Halle ihre Runden zogen. Hin und wieder hatten die sogenannten »Glücklichen« natürlich auch ihre Reitstunden. Ausgestattet mit allem was dazugehörte: Reitstiefel, Reitkappe, Reithose, Gerte, etc. etc. und zwar vom Feinsten, manchmal sogar noch geadelt, da von berühmten Familienmitgliedern ererbt.
Mir wurde klar, dass ich etwas unternehmen musste. Also legte ich mir ein paar (wie ich glaubte, sehr klug abgewogene und logisch stringente) Sätze zurecht, kratzte meinen Mut zusammen und trug meinen äußerst verblüfften Eltern meinen Wunsch, das Reiten zu erlernen, vor.
Um es kurz zu machen: Meine Eltern hielten von dieser Idee erstmal rein gar nichts. Mein Vater spätestens ab dem Zeitpunkt nicht mehr, als er erfahren hatte, was eine Reitstunde kosten sollte (plus natürlich der dringend benötigten Ausrüstung). Meine Mutter schüttelte sofort vehement den Kopf und verwies auf die Gefahren des Reitsports und hatte auch sofort furchtbare Geschichten von Menschen parat, die sich auf so ein Untier gesetzt hatten, nur um in hohem Bogen wieder herunterzufallen und die sich dabei entweder gleich den Schädel oder das Genick gebrochen hatten (sogar mit Helm!!) oder wenigstens querschnittsgelähmt im Rollstuhl gelandet waren. Das war der Moment, in dem ich glaube ich das erste Mal anfing, im Zusammenhang mit Pferden auch Angst zu empfinden.
Mir wurde schnell klar, dass ich von dieser Seite nicht auf Unterstützung oder Hilfe rechnen konnte. Also verdingte ich mich zusammen mit einer weiteren Schulkameradin, der es zu Hause ähnlich ergangen war, als Stallhilfe. Mehr recht als schlecht - eine echte Anleitung hatten wir beide nicht bekommen - schufteten wir für die Aussicht, bei genügend erbrachter Plackerei evtl. mal für fünf oder zehn Minuten auf eines der (hochheiligen) Pferde zu dürfen. Tatsächlich dachte aber niemand daran, uns wirklich auf die Tiere zu lassen, nicht mal für fünf Minuten. Irgendwann kam der Moment, wo auch uns die grausame Wahrheit dämmerte. Das war das Ende der Plackerei, zugleich rückte der Traum vom Reiten in unerreichbare Fernen.
Der Vater einer Schulkameradin erbarmte sich schließlich und legte beim Reitanlagen-Besitzer ein gutes Wort für uns ein. Na gut, meinte letzterer, eine (!) Reitstunde sollten wir mitmachen dürfen - für umsonst. Dann war es soweit! Keine Ahnung, wie ich es auf das riesige Pferd geschafft habe, keine Ahnung, wie ich mich oben hielt? Niemand hatte mir gezeigt, wie man die Steigbügel richtig einstellt, geschweige denn sie für mich eingestellt. So rutschte ich immer wieder aus den Steigbügeln und wankte auf dem Pferderücken, der mir plötzlich gar nicht mehr so breit vorkam hin und her. Für eine Weile ging es immer im Kreis durch die Halle, während der »Reitlehrer« in militärischem Stil seine Befehle brüllte. Natürlich wusste ich nicht, was er eigentlich von mir wollte.
Nur mit Jeans und Gummistiefeln ausgerüstet kam ich mir zudem vor wie Aschenputtel. Das schadenfroh-mitleidige Grinsen der »Glücklichen« entging mir nicht. Irgendwann hieß es dann plötzlich Trab und Galopp und obwohl ich nichts gesagt oder getan hatte, schloß sich mein Pferd einfach seinen Pferdekumpeln an und ab ging die Post. Ich krallte mich an die Zügel und versuchte verzweifelt nicht vom Pferd zu fallen, während mir gleichzeitig all die Horrorgeschichten einfielen, die meine Mutter angeführt hatte und die mir nun plötzlich als sehr wohl möglich und wahr erschienen.
Da ich diese Zeilen schreibe, dürfte klar sein, ich habe die Reitstunde damals überlebt. Mein Fazit viel eindeutig aus! Ich fand die Pferde an sich toll. Ich mag Pferde - meistens jedenfalls. Doof fand ich, die ganze Zeit mehr oder weniger im Kreis herumzureiten. Doof fand ich, das dieser Sport so teuer sein sollte, wenn man nicht zufällig auf einem Bauernhof mit Pferden oder als Tochter eines Soldaten oder Reitanlagenbesitzer geboren war. Doof fand ich mich von einem tyrannischen Reitlehrer unablässig anbrüllen zu lassen. Doof fand ich, den unglaublichen Ehrgeiz mancher Mütter auf der Tribüne, die ihre kleinen Amazonen schon auf dem direkten Wege zu Olympischen Spielen oder Military-Wettbewerben sahen, und die um ganz sicher zu sein, ihre Mädels in ähnlicher Tonlage wie der Reitlehrer nach den Stunden zusammenfalteten, weil irgendwas nicht perfekt gewesen war. Und es sollte auch nicht lange dauern, bis ich für mich feststellte, dass ich auch Mädchen eher doof fand und vor allem, ihr immer schlimmer werdendes Getue um Pferde und das Reiten. Mein Interesse an diesem Sport erlosch recht schnell und gründlich.
Nachtrag 1: So überrascht meine Eltern waren, als ich ihnen meinen Wunsch, das Reiten zu erlernen, vortrug, war ich dann etliche Jahre später, als meine Mutter mich plötzlich fragte, ob ich nicht vielleicht doch noch das Reiten lernen wolle? Woher der plötzliche Sinneswandel? Was war mit dem damals so lebhaft beschworenen Risiko? Noch später stellte sich heraus: Ich hatte mich damals, zum Entsetzen vor allem meiner Mutter, eher zu dem entwickelt, was man heute Tomboy nennt. Echte Mädchen schwärmten für Pferde, hatten Pferdekalender und -Poster an den Wänden, schliefen in Pferdebettwäsche und trieben sich den ganzen Tag bei oder auf Pferden herum. Sie glaubte also, wenn sie mich wieder auf’s Pferd bekommen würde, käme der Rest von allein und aus mir würde endlich ein Mädchen wie alle anderen. Ich habe sie, das muss ich hier bekennen, bitter enttäuscht und ihr Ansinnen genauso vehement abgelehnt, wie sie meinen Wunsch damals abgeschmettert hat.
Nachtrag 2: Erst als schon Erwachsene mit Anfang 20, bin ich auf den Pferderücken zurückgekehrt. In einem Urlaub auf einer Nordsee-Insel ging es auf einen anderthalbstündigen Ausritt. Ich fand es toll, weil ich Pferde ja eigentlich schon mag und weil es nicht dämlich immer im Kreis sondern in die Natur ging und weil ich beim Galopp entlang des Strandes nicht vom Pferd gefallen bin. Der Gedanke es doch nochmal mit Reitstunden zu versuchen, blitze für einen Moment auf und versank dann im Rauschen des Meeres. Reiten passte nicht zu meinem damaligen Lebensentwurf.
Nachtrag 3: Jahrzehnte später stecke ich nun in Mecklenburg, in einer noch sehr ländlichen Gegend mit reichlich Pferden. Eine Freundin hier hat eine ganze Anzahl Pferde, darunter einige meiner Lieblingsrasse, nämlich Friesen. Sie bot mir vor einiger Zeit an, ich könne gerne mal auf eines ihrer Pferde. Wir verabredeten uns, fuhren die Weiden ab, putzten ein bisschen an den Pferden herum - sie gekonnt, ich eher semi-gekonnt. Es begann leicht zu regnen und wir beschlossen, das Reiten an diesem Tag nicht mehr zu versuchen. Vielleicht beim nächsten Mal, wenn wir was mit den Pferden machen würden. Das nächste Mal hat noch nicht stattgefunden, und ich bin auch nicht sicher, ob es noch stattfinden wird. Denn ehrlich, inzwischen hab ich doch etwas Angst tatsächlich wieder auf ein Pferd zu steigen. Ich meine, ich könnte runterfallen und mir sonstwas brechen. Ich bin ja keine 20 mehr und je älter man wird, desto schlechter heilen Brüche und überhaupt …
Nachtrag 4: … andererseits, ein bisschen juckts mich dann doch wieder. Es haben ja auch 80jährige noch gelernt mit dem Computer umzugehen. Was ist dagegen schon ein bisschen Reiten? Die Zeit wird’s zeigen. Ein Pferdemädchen wird aus mir ganz sicher nicht mehr aber vielleicht ja irgendwann in der Zukunft eine Pferdeoma.
Inzwischen hat Anne die Sammlung der Links zu allen Beiträgen zur Blogparade »Das Leben ist kein Ponyhof« online gestellt.
Ich seh’ schon: Nach einer Welle von Erinnerungen wird diese Blogparade eine Welle von Reiterinnen erzeugen.
@ kaltmamsell - man weiß es nicht, so genau! ;o)
Auf jeden Fall ist mir beim Lesen der anderen Einträge der Blogparade aufgefallen, dass es doch eine Reihe von kollektiven Erfahrungen bzgl. Ponyhöfen und Pferden gibt. Und - regelrecht überraschend! - dass ich damals und eigentlich bis heute, weil ich nie wieder darüber nachgedacht habe, immer gedacht habe, all die anderen »Pferdemädchen« wären total glücklich. Nach der Lektüre der Beiträge ging mir schlagartig auf, dass viele vielleicht viel ängstlicher und unglücklicher waren, als es damals den Anschein hatte. So kann man sich (und andere) täuschen, wenn alle so tun, als ob etwas ganz ganz toll ist, weil alle glauben, alle anderen fänden es auch ganz ganz toll.