Privates ·Tagesnotizen 2015

Tagesnotizen

»verächtlich lächeln« - eine wirklich seltsame Kombination von böse und gut. Zudem eine, bei der das Böse das Übergewicht über das Gute gewinnt. Das Verächtliche entwertet und verdirbt das Lächeln. Das Lächeln ist zu schwach, um das Verächtliche zu überstrahlen und damit wegzuwischen. Und überhaupt, wieso drückt sich beim Menschen Verachtung (zumindest manchmal) ausgerechnet in einem Lächeln aus?

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Es ist (m)eine Entscheidung, nicht die Traurigkeit, sondern die Freude zu wählen, nicht den Pessimismus, sondern den Optimismus, nicht die Resignation, sondern die Aktion, nicht die Verzweiflung, sondern die Hoffnung.

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»So called ?late-bloomers? get a bad rap. Sometimes the people with the greatest potential often take the longest to find their path because their sensitivity is a double edged sword - it lives at the heart of their brilliance, but it also makes them more susceptible to life?s pains. Good thing we aren?t being penalized for handing in our purpose late. The soul doesn?t know a thing about deadlines.«
- Jeff Brown

Spätzünder sein - auch so ein Thema. Die Zeiten sind ungünstig für Spätzünder, wenn alle nur Wunderkinder oder wenigstens hochbegabte Kinder wollen, die mit drei schon fließend in Mandarin parlieren oder ähnliche Fähigkeiten an den Tag legen.

Mit Jeff Browns vorletztem Satz stimme ich nicht überein. Heute wird bestraft, wer nicht schnell genug parat steht (»Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben die Gesellschaft«), wer nicht schnell genug zeigen kann, wozu er oder sie fähig ist, bekommt unter Umständen keine zweite Chance mehr. Ist schneller aussortiert als er oder sie »Moment« sagen kann.

Die allgemeine Ungeduld heute überall. Alles sofort und gleich und am besten schon vorgestern. Bloß nicht warten müssen, auf gar nichts! Verhasste Warteschlangen, Unmut über Alte, die mühselig ihre Cents im Geldbeutel sortieren. Ein Zug, ein Flug verspätet wird als persönliche Katastrophe empfunden und der Ärger darüber verstellt die Chance die Wartezeit sinnvoll zu nutzen.

Wer sich Zeit nimmt oder lässt, ist übelsten Verdächtigungen ausgesetzt, wenn Produktivität alles ist, Selbstoptimierung ein Ideal und Burnout fast wie ein Verdienstorden getragen wird. Nichtsnutz, Schmarotzer, Faulpelz, Versager!
Wer nicht mithalten kann im Wettrennen, wird aussortiert, ausgegrenzt, stigmatisiert und dann vergessen, weil die anderen schon längst drei Kurven weiter sind.

Alles schnell, schnell, keine Zeit für Entwicklung über lange Zeiträume. Erfolge müssen immer schneller errungen werden. Es spielt keine Rolle, wie lange die Erfolge anhalten. Kein Nachdenken über Konsequenzen, Langzeitfolgen, etc. Hauptsache jetzt, was schert mich das Morgen, denn morgen bin ich tot. Gnade einer den Nachkommen!

Wie viel Talent wird so verhindert, vernichtet, nur weil es nicht in irgendwelche Systematiken, Statistiken, 1-, 2-, 3-, 5-Jahrespläne oder die eng getakteten Zeitrahmen irgendwelcher Schul- und Studienpläne oder gar Apps paßt? Wer nicht der Entwicklungs- und Fortschrittsnorm entspricht, wird demotiviert und abgeschrieben. »Aus dem / der wird nichts mehr!« Ja, das gab es schon zu allen Zeiten und doch kommt es mir vor, wir leben in einer Zeit, wo das ins Extreme getrieben wird. Passt Du nicht in den vorgegebenen Zeitplan, kann man Dich nicht zum gewünschten Zeitpunkt brauchen und nutzen, dann bist Du uninteressant, im schlimmsten Fall »wertlos«.

Und zu viele können sich von diesem Druck nicht frei machen und glauben, was ihnen gesagt und suggeriert wird. Fühlen sich selbst unbegabt, unbrauchbar, wertlos, weil sie nicht über den Horizont hinaus schauen können und dahinter das Land entdecken, das auf sie wartet und das sie einnehmen könnten, wenn sie nur geduldig ihr Schiff weitersegeln würden, egal welche Stürme sich auftürmen, egal wer alles versucht, sie von ihrem Kurs abzubringen und egal, wie lange es dauert.

7 Gedanken zu „Tagesnotizen

  1. Pardon, aber ich »muss« schon wieder ein großes ausdrückliches Danke sagen!

  2. Danke Liisa, das hast Du wunderbar auch den Punkt gebracht.

    Umso wichtiger ist es, dass wir an einander und vor allem an unsere Kinder glauben (und ihnen das auch immer wieder SAGEN!!!), damit sie nicht unter diese Räder geraten.
    Auch und vor allem, wenn sie vielleicht langsamer sind als die anderen, die sich schon in jungen Jahren bis zur Erschöpfung auspowern.
    (Ich habe hier beide Beispiele direkt vor Augen und sie brauchen beide die ihnen gemäße Unterstützung.)

  3. @ pepa - Du ergänzt noch einen wichtigen Punkt, nämlich den, dass diejenigen, die schnell genug sind/waren, gnadenlos verheizt werden in diesem System und wenn sie dann bis zur Erschöpfung ausgepowert sind, und nicht mehr können, werden sie häufig schlicht und einfach fallen gelassen. Schwäche ist kein Posten in der Kalkulation. Das Hamsterrad muss laufen. Diejenigen, die unter die Räder gekommen sind oder kommen, sind weitestgehend auf sich gestellt. Wohl dem, der dann eine Familie hat, die wirklich zusammenhält oder wenigstens Freunde, die sich nicht abwenden. In den heutigen Konstellationen auch eher Raritäten.

  4. Man ist ganz schnell Teil dieses Systems, das ist das Perfide.
    Das geht schon damit los, dass viele - ich würde mal behaupten, in meinem Umfeld fast alle - Eltern eine panische Angst davor haben, dass ihre Kinder es »nicht schaffen« könnten (was auch immer das dann in letzter Konsequenz sein mag).
    Interessant ist, dass es oftmals genau diese Kinder sind, die in der Schule so angepasst sind, dass sie wirklich die besten Noten nach Hause bringen - nur wissen sie offenbar danach ganz häufig gar nicht, was sie eigentlich wollen, wo ihre Talente liegen, was ihr innerstes Anliegen ist. Ein bisschen drängt sich der Eindruck auf, dass sie vor lauter Leistungsdruck gar nicht erfühlen konnten oder können, wer sie eigentlich sind, wo ihre Interessen liegen.
    Das finde ich als Konsequenz fast noch erschreckender, als das spätere »unter die Räder« kommen. Dieses schon vor dem eigentlichen Start ins Leere laufen.
    Und auch wenn mich immer immense Zweifel plagten, ob ich meinen Kindern nicht zu viel (besonders schulischen) Freiraum gebe, bin ich jetzt doch SEHR froh darüber, genau das getan zu haben. Sie gehören zu den Wenigen, die recht genau wissen, was sie interessiert und wo sie, zumindest tendenziell, hin wollen, die, auch wenn es im ersten Anlauf nicht klappt, sich wieder hochrappeln und weitermachen.
    Ich hoffe sehr, ihnen wird nicht durch das Rennen im Hamsterrad irgendwann das Rückrad gebrochen.

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