Samstags freu ich mich. Jede Woche. Also jede Woche, in der ich zuhause bin. Ich freu mich immer um die gleiche Zeit. Um 18 Uhr, um genau zu sein. Da wird nämlich die Glocke auf dem Kirchberg geläutet. Die dazugehörige Kirche ist seit bald 500 Jahren nur noch eine Ruine. Die Herren der Gegend stritten sich um den Besitz der Dörfer und als der Streit eskalierte, ließ einer der Herren die Kirche einfach zerstören. Die Wirkung war so nachhaltig, dass die Dörfler es nicht wagten, die Kirche wieder aufzubauen. Die Außenmauern aus Feldstein stehen teilweise noch. Die Glocke selbst hängt in einem hölzernen Glockenstuhl, der neben der Ruine steht. Einige Männer aus dem Dorf wechseln sich ab und läuten immer samstags um 18 Uhr den Sonntag ein. Das hat, finde ich, etwas Rührendes, Anheimelndes und Beruhigendes.
Ich liebe Kirchenglocken. Ich mag ihren Klang, wenn er über die Landschaft hinweg klingt. Jede Glocke klingt anders. Die eindrucksvollsten Glocken, die ich bisher in meinem Leben gehört habe, waren die Glocken vom Nidarosdom in Trondheim. Deren Klang war ungewöhnlich, überraschend, besonders. So besonders, dass ich sie nie wieder vergessen habe.
Unsere Glocke hier hat es schwer. Sie läutet allein, keine Schwesterglocken, die mit einfallen in ihr Geläut. Alles hängt von ihr ab. Und natürlich von demjenigen, der am Glockenseil zieht und die Glocke ins Schwingen bringt. Jeder Glockenläuter hat einen anderen Charakter und die Glocke bildet den jeweiligen Charakter ab in ihrem Geläut. Wobei derjenige, der heute dran ist, vermutlich nur das Glockenseil lösen braucht, den Rest übernimmt dann der stürmische Wind. Das wird also wahrscheinlich ein ziemlich wildes Geläut heute.
Ansonsten ist der Tag so dahin geplätschert, draußen sintflutartig, drinnen eher gemütlich, so wie einer dieser esoterischen Zimmerbrunnen, der einen je nach Menschentyp langsam in einen meditativen Zustand versetzt oder in den Wahnsinn treibt. ;-)
Kennst Du Hanns Dieter Hüsch?
„Samstags die Glocken/ Wohl auch anderswo/Aber am Niederrhein/ klingen sie/ metaphysisch“
@ Thorsten - Natürlich kenne ich Hanns Dieter Hüsch! Diesen Vers allerdings bisher nicht.
Ich muss von diesen Zimmerbrunnen immer bloß pinkeln… ;-)
Bald werde ich auch wieder Glocken hören, wenn ihr Klang von Wiek über den Bodden herüber getragen wird. Wenn ich so drüber nach denke wird mir bewusst wie sehr ich das vermisst habe.