Den ganzen Vormittag hat es vor sich hin geschneit. Ich liebe die besondere Stille, die sich mit dem Schnee über eine Landschaft legt. Alles wirkt weicher, schroffe Ecken und Zacken werden überdeckt. Als wenn jemand eine dicke Daunendecke über alles breitet. In mir wird es immer still und froh, wenn es schneit bzw. Schnee liegt. Selbst wenn irgendwas schief läuft, es Auseinandersetzungen gibt, empfinde ich alles als nur halb so schlimm.
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Ich denke über das Altern nach. Wir werden ja alle älter, jeden Tag. Aber irgendwann wird es einem plötzlich bewusster. Erste kleine manchmal noch sehr subtile Anzeichen. So wie Frau Kaltmamsell kürzlich schrieb:
»Die ersten 15 bis 20 (?) Jahre des Lebens wird man älter unter dem Aspekt »schon« und vergleicht sich mit Gleichaltrigen: Kann ich das schon, was die kann? Bin ich schon (so groß, so stark) wie der? Habe ich schon (Fahrrad, Führerschein), was die hat?
Wenn das Alter einsetzt, wird das ein Vergleichen unter dem Aspekt »noch«: Kann/bin/habe ich noch, was die offensichtlich nicht mehr kann/ist/hat?«
Plötzlich sind die Mordopfer in den Krimis zunehmend in der eigenen Altersklasse, die Täter sowieso und plötzlich nimmt einen so ein Krimi doch mehr mit als früher, wo man sich das Grauen etwas besser vom Leibe halten konnte, weil man das Gefühl hatte, überwiegend trifft es eine andere Altersklasse.
Plötzlich fällt einem auf, dass Moderatoren und Moderatorinnen, Nachrichtensprecher und -sprecherinnen, Experten und Expertinnen, die interviewt werden, so unglaublich jung aussehen. Ich denke, wow, der muss ja eine Wahnsinnskarriere hingelegt haben, wenn der jetzt schon Experte ist. Und dann stellt sich raus, der oder die ist auch schon Mitte 30 oder Anfang 40.
Ich falle immer öfter vom Hocker, wenn plötzlich Helden und Heldinnen meiner Kindheit und Jugendzeit ihren 70. oder 80. Geburtstag feiern. Jedes Mal will ich es kaum glauben, dass das sein kann. Wikipedia ist gnadenlos und zeigt mir die nackte Wahrheit.
Kinder von gleichaltrigen Freunden machen plötzlich ihre Studienabschlüsse, heiraten oder erwarten ihr erstes oder sogar schon zweites und drittes Kind. Ich kann es nicht fassen!
Ich denke nicht ständig über das Altern nach, aber es gibt immer mal wieder solche subtilen kurzen »Trigger«, die mich nachdenklich machen.
In wenigen Wochen werde ich 50 Jahre alt. Tatsächlich habe ich nie gedacht, dass ich wirklich mal so alt werden würde. Ich war immer überzeugt, ich würde jung sterben. Einige Erlebnisse mögen zu diesem Denken beigetragen haben, aber wirklich erklären kann ich mir dieses Empfinden nicht. So bin ich weniger erschreckt als erstaunt, dass jetzt wirklich die 50 im Raum steht. Mindestens die Hälfte meines Lebens habe ich aller Wahrscheinlichkeit nach also hinter mir. Diesen Gedanken finde ich manchmal ein bisschen beängstigend. Wie viel Zeit bleibt wohl noch? 5, 10, 20, 40 Jahre oder mehr? Obwohl ich ja schon jetzt vom Leben überrascht werde, denke ich immer noch, ich werden keine 80, 90 oder gar noch älter.
Ich kann mir kaum vorstellen, wie mein Altern aussehen wird. Weder körperlich (Gesundheit, Aussehen) noch innerlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Interesse an allem Möglichen plötzlich nachlassen wird. Dass ich nicht mehr Neues lernen möchte. Dadurch, dass ich meine biologischen Eltern nicht kenne, hab ich keinerlei Anhaltspunkte, wie mein Altern evtl. aussehen könnte. Ich weiß nicht, ob sie gesundheitliche Probleme oder Schwächen in ihren Familien hatten. Ich weiß nicht, ob sie am Ende vielleicht Demenz oder gar Alzheimer hatten. Ob sie an Krebs oder Parkinson gelitten und daran gestorben sind, oder ob sie ihre letzten Jahre aktiv und relativ fit und selbständig zugebracht haben. Ich weiß nicht, ob ein oder beide Familienzweige lang- oder kurzlebig waren/sind. Ich weiß gar nichts. Einerseits kann das entlastend sein, andererseits aber auch beängstigend. Ich kann mich mental auf nichts oder eben alles einstellen.
Ich schaue mir meinen Freundeskreis an, der überwiegend aus älteren oder gleichaltrigen Freunden besteht, und an ihnen sehe ich ebenfalls, wie das Altern langsam einsetzt oder schon im Gange ist. Ich bekomme ihre Reaktionen darauf mit. Ich sehe, wie manche anfangen Panik zu schieben, andere gehen sehr gelassen damit um. Ich bekomme auch mit, wie sie anfangen sich entsprechend zu sortieren und zu organisieren. Manche entwickeln neue Strategien und Taktiken. Andere tun so, als ob nichts wäre und versuchen ihren Stiefel durchzuziehen wie immer und merken nicht, dass sie ihren Körper damit längst überfordern. Noch trägt oft der schiere Wille den Sieg davon, aber von außen ist zu sehen, dass das nicht mehr lange funktionieren wird. Wie werden sie dann damit fertig werden? Andere »ergeben sich in ihr Schicksal«, manche resignativ andere fast ein bisschen erleichtert. »Ich darf das jetzt!« … »Ich muss das ja nicht mehr!« …
Wieder andere treibt um, dass sie merken, wie ihre Kräfte langsam nachlassen, sich zunehmend gesundheitliche Zipperlein oder ernstere Verschleißerscheinungen und Beschwerden einstellen, während ihre Eltern immer älter und pflegebedürftiger werden, und je länger je mehr auf sie und ihre Hilfestellungen angewiesen sind.
Schwieriger finde ich einzuschätzen, wie sich der Blick von außen auf einen verändert, wenn man jenseits der 50 ist. Ab wann wird mir von anderen unter Umständen gar nichts mehr zugetraut? Ab wann interessiert sich keiner mehr dafür, was ich will und kann? Ab wann wird man »zum alten Eisen gezählt«? Andererseits die Zahl der Alten wird in den nächsten Jahren zunehmen, dass wird Auswirkungen darauf haben, wie die Gesamtgesellschaft auf das Alter und Altern schaut. Ich rechne damit, dass da nochmal viel in Bewegung kommen wird.
»Man ist nur so alt, wie man sich fühlt!« Dieses Mantra hört man immer wieder, wenn das Gespräch auf das Altern und Alter kommt. Da ist natürlich etwas dran. Wenn ich danach gehen würde, dann bin ich irgendwo Anfang bis Mitte 30. Wobei es auch Tage gibt, da fühle ich mich eher wie 80 und mehr. Wenn ich es genau überlege, dann ist mein »Altersgefühl« eher fließend, changiert durch die Altersklassen. Insofern hilft mir das Mantra nicht wirklich weiter.
Positiv gesehen, ist 50 heutzutage noch »kein Alter«. Ich erinnere mich, als ich ein Kind war, wirkten 50jährige wie heutige 70jährige. Ich bin immer sehr beeindruckt, wenn Menschen mit 50, 60, 70 nochmal durchstarten. Sich nochmal auf neue Abenteuer einlassen, nicht weil sie müssen, sondern weil sie es wollen. Das habe ich immer schon als sehr ermutigend und inspirierend empfunden.
Ich bin sowieso in mancher Hinsicht eine Spätzünderin und habe da oft drunter gelitten. Manchmal habe ich das Empfinden, dass ich manche grundlegende Dinge des Lebens erst jetzt begriffen habe. Das jetzt erst entscheidende Puzzleteile zusammengefallen sind, so dass das Ganze für mich einen Sinn ergibt. Ich komme mir vor als wäre der Startschuß für mich erst kürzlich gefallen, und ich hechte gerade aus den Startblöcken bzw. ich lege gerade erst los. Und wenn ich dieses Empfinden habe, dann ist da immer auch die leise Furcht im Hintergrund, hoffentlich fällt jetzt nicht zu schnell die letzte Klappe für mich (wobei mich das auch wieder nicht wundern würde). Aber eigentlich will ich meinen Lauf jetzt auch machen.
Und sollte ich doch 70, 80, 90 oder noch älter werden, dann hab ich ja noch einige Jahrzehnte Zeit in denen ich viel machen kann, und in denen auch noch viel passieren kann. Insofern bin ich freudig gespannt auf das, was nach der 50 kommen wird.
Mit den Gedanken über das Altern und Alter bin ich aber noch lange nicht fertig.
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Backen, wenn es draußen schneit, ist übrigens auch noch einen Zacken toller. Ich finde Backen immer sehr heimelig und gemütlich. Es tut meiner Seele gut. Mit Schnee gleich doppelt! Also hab ich heute neue Buttermilch-Zitronen-Brötchen gebacken. Die frieren wir ein und freuen uns auf die kommenden Wochenendfrühstücke.
So, nachdem mein erster Kommentar plötzlich weg war, versuche ich es noch einmal:
Mit den Gedanken über das Alter und das Altern wird man nie fertig, denn das Leben schreitet kontinuierlich fort und man gewinnt ständig neue Erkenntnisse und es ergeben sich sicher auch neue Situationen. Wenn du z.B. in 16 Jahren deine Tagesnotizen schreibst ;-) werde ich sie wahrscheinlich nicht mehr lesen (können). Richtig vorstellen kann ich mir nicht, wie es sein wird. Aber ich kann nicht glauben, dass ich irgendwann mal nichts Neues mehr lernen, nichts mehr erkunden will.
Eine Spätzünderin bin ich auch, immer schon gewesen, auch vom Aussehen her. Vorteil: man sieht ein wenig jünger aus, als man ist. Allerdings spielt das im Alter nicht mehr so eine Rolle. Es ist nicht aufzuhalten und ich habe mich damit abgefunden, dass die körperliche Leistungsfähigkeit nachlässt und dass man schneller müde wird. Faltig zu werden finde ich zwar nicht schön, aber andererseits will ich meine kostbaren Tage nicht damit zubringen, gegen das Alter anzukämpfen und darüber zu jammern.
Irgendwann stellt man mit Erstaunen fest, dass man sozusagen ‘unsichtbar’ geworden ist. Männer schauen einem nicht mehr hinterher. Nach kurzem Bedauern habe ich festgestellt, dass es wunderbare Vorteile bietet und wenn ich die Bemühungen mancher junger Frauen sehe, dann bin ich froh, nicht mehr konkurrieren zu müssen. Ich kann mich in Ruhe zurücklehnen ;-) und mich wichtigeren Dingen zuwenden als gestylten Nägeln (hab’ ich allerdings nie gemacht) und getuschten Wimpern.
Es ist Freiheit, die man da gewinnt und vor allem die Gewissheit, dass die Tage gezählt sind und dass man jeden einzelnen wertschätzen muss. Es könnte - zumindest bei mir - schon bald vorbei sein. Um so kostbarer ist jeder neue Tag.
LG, Ingrid
Liebe Liisa,
vielen Dank für Deinen Blog den ich immer mit großem Gewinn und stiller Freude lese.
Ich kann mich auch noch daran erinnern, wie Du hier von Eurem Umzug geschrieben hast - ist das tatsächlich schon 3 Jahre her?! Wie schön, dass Du diesen Schritt nicht bereust hast. Toll und eine Tatsache, über die Du jeden Tag ganz doll Glücklich sein kannst.
Neben der Verwunderung übers Altern :-) Danke für Deine offenen und so ehrlichen Gedanken zu diesem Thema. Ähnliche habe ich auch, verdränge sie aber nur zu gern und könnte es nicht schaffen, so darüber zu reflektieren, wie Du es gemacht hast.
Ich wünsche Dir noch viel Zeit für all Deine Pläne und Gedanken..
Viele Grüße
Sabine
@ Ingrid - Oh das tut mir leid, dass Du Deinen Kommentar gleich zweimal schreiben mußtest! Aber danke sehr, dass Du es getan hast! Sehr interessant, Deine Gedanken zum Thema zu lesen.
@Sabine - Ich freu ich mich so sehr, dass ich durch diese Gedanken mal wieder eine langjährige stille Leserin »kennenlernen« kann. Vielen Dank für Dein Interesse und dass Du schon so lange hier mitliest! Danke, dass Du Dir die Zeit für einen Kommentar genommen hast und danke für die lieben Wünsche.