Heute Abend hatte ich endlich Zeit, mir die wunderbare Dokumentation »Looking for Picasso« anzusehen. Kann ich wirklich sehr empfehlen!
In der Dokumentation heisst es ziemlich am Anfang mal, Picasso habe einmal gesagt »Man ist nur, was man aufbewahrt.« Das ist natürlich so völlig aus dem Kontext gerissen, in dem er diese Aussage gemacht hat. Trotzdem denke ich seither über diesen Satz nach. Wenn dieser Satz wahr ist/wäre, was sagt das über mich aus, bzw. was sagt das, was ich aufbewahre über mich aus?
Als ich also jetzt so darüber nachdachte, fiel mir auf, dass ich, obwohl mein Leben nun schon einige Jahrzehnte zählt, nicht viel aufbewahrt habe. Vielleicht, weil ich mehr damit beschäftigt war manche Dinge, die das Leben mir so gebracht hat, wieder loszuwerden, weil es Dinge waren, mit denen ich nichts anfangen konnte oder wollte. Dinge, die für mich nicht einen solchen existentiellen Wert hatten, dass ich sie des Aufbewahrens für würdig befunden habe. Oder weil es Dinge waren, die mit Erfahrungen verbunden sind, die zwar zu einem Teil von mir geworden sind, die ich aber nicht noch durch äußere Symbole ständig vor mir haben wollte.
Eine Rolle spielt sicher auch, dass ich keine eigenen Nachkommen habe. Es gibt keine Kinder, Enkel oder Urenkel, die eventuell an manchem Interesse haben, und für die man deshalb Briefe oder Fotos oder ähnliches aufbewahren könnte.
Interessanterweise sind die meisten Dinge, die ich tatsächlich aufbewahrt habe, verbunden mit Menschen, die eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt haben und die entweder längst gestorben sind oder sonstwie aus meinem Leben oder an dessen Ränder verschwunden sind.
Ich besitze einen Karton (Schuhkartongröße), darin habe ich einige Erinnerungsstücke an meine Freundin Ellie, die viel zu früh starb. Es sind einige Briefe und ein selbstgestaltetes Buch von ihr für mich, Fotos unserer großen gemeinsamen England- und Schottlandreise, solche Dinge.
Ich bewahre ein für mich besonderes Schachspiel auf, das mir viel bedeutet, weil damit zum einen besondere Erinnerungen an Ellie verbunden sind, und weil ich es von zwei Freunden geschenkt bekommen habe.
Ich bewahre zwei oder drei Fotos meiner als Kleinkind verstorbenen Schwester auf.
Ich bewahre einige Fotos meiner verstorbenen Mutter und einige Schmuckstücke, von denen ich weiß, dass sie für sie eine besondere Bedeutung hatten, auf.
Ich bewahre einige Fotos von Freunden auf, die noch leben und die einen besonderen Platz in meinem Herzen haben.
Ich bewahre einige Fotos meiner früheren Kater auf.
Ich bewahre eine Handvoll Fotos aus meiner Kinderzeit auf.
Ich bewahre einige wenige Bücher auf, die einen starken Einfluß auf mich, mein Denken und Leben gehabt haben und noch haben. Natürlich habe ich noch wesentlich mehr Bücher, aber diese speziellen Bücher, die haben alle bisherigen Aussortierungsmaßnahmen überstanden, und ich bin so sicher, wie man sein kann, dass sie bis zum Ende meines Lebens meine Begleiter bleiben und dass ich mich nicht von ihnen trennen werde.
Das sind die Dinge, die ich (bisher) aufbewahre.
»Man ist, was man aufbewahrt!« … Was bedeutet das in meinem Fall? Was bin ich? Oder, was sagen die Dinge, die ich aufbewahre über mich aus? Alles zusammen, was ich aufbewahre, würde in einen mittelgroßen Karton passen. Wenn »man ist, was man aufbewahrt«, dann bin ich offenbar nicht sehr viel.
Etwas in mir sträubt sich, Picassos Aussage (wenn er sie denn tatsächlich so gemacht und gemeint hat) so zu akzeptieren. Sicher stimmt, dass das, was jemand aufbewahrt, etwas über diesen Menschen verraten oder offenbaren kann. Aber dazu müssten andere wissen, in welchem Verhältnis dieser Mensch zu diesen Dingen steht, was ihn bewogen hat, diese Dinge aufzubewahren. Dass aber das, was jemand aufbewahrt, bestimmt, was bzw. wer jemand ist, das ist dann - meiner Meinung nach - doch etwas hochgegriffen.
Und während ich über all das nachdachte, fiel mir plötzlich wieder ein, dass in der Wohnung meiner Eltern dieser Kunstdruck von einem Picasso-Gemälde hing:
Ich vermute stark, dass meine Mutter dieses Bild ausgewählt hat. Ich weiß, dass das Bild auch noch hing, als ich von dort auszog. Als Kind war ich von diesem Bild fasziniert, ohne dass ich heute noch sagen könnte, was es genau war, das mich so faszinierte. Ich habe mir auch nicht groß Gedanken darüber gemacht. Es hing eben einfach schon so lange ich denken konnte dort. Ich habe nie mit meiner Mutter darüber gesprochen, warum sie gerade dieses Bild ausgewählt und über so viele Jahrzehnte aufgehängt hatte. Würde sie noch leben, würde ich sie heute danach fragen.
Bei meinem nächsten Telefonat mit meinem Vater, werde ich ihn jedenfalls fragen, ob er das Bild hängen gelassen oder abgehängt hat, nachdem meine Mutter verstorben war.
Vor ca. eineinhalb Jahren ist er schließlich aus der Wohnung, die sie gemeinsam viele Jahrzehnte bewohnt haben, ausgezogen und wohnt nun in einer anderen neuen Wohnung. Bei meinem letzten Besuch, als ich seine neue Wohnung erstmals gesehen habe, habe ich nicht darauf geachtet, aber ich bin ziemlich sicher, dass er das Bild dort nicht wieder aufgehängt hat. Wäre ja für einen alten Mann auch ein etwas seltsames Motiv, aber gut aus Nostalgiegründen, vielleicht. Ich werde ihn also auch fragen, ob er das Bild in seiner neuen Wohnung wieder aufgehängt hat und wenn nicht, was er damit gemacht hat. Vielleicht bewahrt er es auch auf, als Erinnerung an … ja, an wen oder was?
Danke Dir für diese Gedanken - die ich für mich weiterdenken werde… Grüße von Anna, die derzeit viel entrümpelt