Heute morgen wurde ich von einer meiner WG-Genossinnen aus dem Schlaf gerissen. Am Telefon sei R. (eine Syrerin, die jetzt mit ihrer Familie hier im Dorf lebt, und mit der wir uns etwas angefreundet haben), die irgendetwas wolle. Bekanntermaßen bin ich ja keine Lerche, und mein Hirn funktioniert bis gegen Mittag eher so semigut. Das geht aber in so einem Fall natürlich nicht. Von null auf hundert und das in einer Fremdsprache. Zum Glück sprang mein Hirn dann doch, wenn auch unter Protest, an und alles konnte geklärt werden.
Wach war ich dann, fühlte mich aber körperlich wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Das kann aber auch an der gegenwärtigen Wetterlage liegen Es ist feucht-schwül-heiß und ich hab den Eindruck man bekommt beim Atmen kaum Sauerstoff. Egal, weiter gings.
Ich nahm mich mal wieder der Tomaten an, die weiter prächtig wachsen und gedeihen. Fast ein bisschen zu prächtig dieses Jahr, denn das bedeutet sie brauchen entsprechend Platz. Die beiden Tomatengewächshäuschen sind inzwischen schon fast ein bisschen eng. Außerdem musste ich stärkere Stäbe anbringen als letztes Jahr, weil mir die Tomaten sonst kippen. Ich wurde dann heute als »Helikoptergärtnerin« bezeichnet. Dagegen habe ich mich natürlich sehr verwahrt. :-) Wenn ich will, dass meine Pflanzen gute Frucht bringen, dann muss ein bisschen Zuwendung schon sein. Oder? ODER?
Die Mini-Schlangengurken wachsen prächtig, da werde ich wohl bald die erste ernten können, und ich freue mich schon riesig darauf.
Dann ging ich in den Garten, brachte den Kompost weg und kam am Gemüsegarten meines Garten-Yodas vorbei, wo ihr Salat schon eine beachtliche Größe erreicht hat. Ich dachte, wieso ist ihr Salat schon so groß und meiner noch so klein, aber gut sie hat ihn natürlich etwas früher als ich ausgesät. Trotzdem! *grins*
Ich wanderte weiter zu meinem kleinen Hochbeet und flippte aus! Das feuchtwarme Wetter scheint dem Hochbeet sehr gut zu bekommen. Meine Salate haben einen kräftigen Wachstumsschub hingelegt und sehen jetzt tatsächlich auch aus, wie Salat und nicht nur wie zwei Blättchen die unmotiviert aus der Erde lugen. Dann entdeckte ich, dass die Radieschen sich blicken lassen. Und auch der weiße Rettich ist um einiges größer geworden. Vor lauter Freude hüpfte ich ein bisschen um mein Hochbeet herum und grinste wie ein Honigkuchenpferd, was wiederum meinen Garten-Yoda zum Lachen brachte. Ja, ich kann mich auch über kleine Dinge sehr freuen.
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Nach dem Mittagessen arbeitete ich etwas vor mich hin, und als ich nach etwas recherchierte, tauchte plötzlich die Eilmeldung auf, dass Rupert Neudeck, der Mitgründer der Hilfsorganisation »Cap Anamur« und der »Grünhelme« gestorben ist. Ich habe ihn selbst einige Male getroffen und immer sehr geschätzt und gemocht.
Es ist bitter, gerade in einer Zeit wie der gegenwärtigen, wenn Stimmen wie die seine für immer verstummen, weil wir solche Stimmen und solche Typen dringend brauchen. Er hat eben nicht nur Worte gemacht, sondern konkret gehandelt und Taten folgen lassen.
Mich hat diese Nachricht jedenfalls sehr getroffen und traurig gemacht, aber ich bin auch dankbar, dass es ihn gab und für das, was er getan hat. Hoffen wir, dass Menschen von seinem Kaliber nachwachsen und sozusagen das Staffelholz übernehmen.
Mir hat übrigens immer leid getan, dass die zweite von ihm gegründete Hilfsaktion, die Grünhelme, in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Wenn unsere Politiker heute davon sprechen, man müsse die Lage in den sog. Krisenländern verbessern, damit die Menschen dort eine Lebensperspektive haben, dann habe ich immer sofort an ihn und die Grünhelme denken müssen, denn die haben das schon lange erkannt und sind schon lange genau dort an der Arbeit. Da das aber eben nicht spektakulär ist, hört man kaum mal davon. Ganz nebenbei arbeiten bei den Grünhelmen übrigens Christen und Muslime friedlich Hand in Hand.
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Ich legte erstmal eine kleine Arbeitspause ein und bürstete die beiden Kater. Filippo hätte es nicht nötig gehabt, aber Jaromir hatte einige kleine leicht verfilzte Stellen. Er ist ja inzwischen schon ein älterer Herr und kriegt das mit dem sich selber putzen nicht mehr hundertprozentig hin. Da braucht es etwas Unterstützung, damit er nicht wie ein »struppich Rindche« aussieht, wie jemand hier zu sagen pflegt.
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Auf nachfolgendes Zitat stieß ich heute, und denke seither darüber nach, weil ich mir sowieso gerade Gedanken darüber mache, was dieses ominöse »Erwachsenwerden« oder »Erwachsensein« eigentlich bedeutet?
Most people don’t grow up. Most people age. They find parking spaces, honor their credit cards, get married, have children, and call that maturity. What that is, is aging.
—Maya Angelou
Wie verstehen und deuten wir Erwachsensein heute? Was sind die Eigenschaften oder Anzeichen, an denen wir es festmachen? Was macht den Unterschied zwischen zugeschriebenem Erwachsensein (ist volljährig, darf den Führerschein machen und Auto fahren, gilt vor Gesetz als erwachsen, usw.) und tatsächlichem inneren Erwachsensein genau aus?
Mich treibt schon eine Weile der Gedanke um, wie »erwachsen« wir eigentlich tatsächlich sind, und inwiefern es sich auf eine Gesellschaft, die ja aus Individuen besteht, auswirkt, wenn viele oder eben wenige tatsächlich Erwachsene vorhanden sind.
Wie wirkt es sich auf das Miteinander aus, wenn das Gegenüber im Grunde nie erwachsen geworden ist? Was kann, was darf ich trotzdem voraussetzen? Was ist im Grunde eine Überforderung für die- oder denjenigen, der nicht erwachsen worden ist? Wie viele Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen und/oder der Gesellschaft, haben ihre Wurzeln (auch) im nicht Erwachsen(geworden)sein?
Warum sind manche stolz darauf, erwachsen zu sein? Warum sind manche stolz darauf, nie erwachsen geworden zu sein?
Wie sieht meine eigene Definition von Erwachsensein eigentlich aus? Wie kam es zu dieser Definition? Wer oder was hatte Einfluß auf meine Definition von Erwachsensein. Wie definieren andere Erwachsensein?
Gibt es Bereiche unseres Lebens, in denen wir ein Stück »Kindsein« leben und bewahren können? Billige ich anderen diese Bereiche zu? Niemand ist ja zu 100 Prozent, also in allen Bereichen komplett erwachsen. Was tue ich dafür, erwachsen zu werden, in Bereichen, in denen ich vielleicht nie erwachsen geworden bin. Will ich überhaupt erwachsen werden/sein? Gibt es Bereiche, wo ich es will, und vielleicht andere, wo ich es gar nicht sein will? Warum, und warum nicht?
Welcher Luxus ist es eigentlich, nicht erwachsen sein zu müssen?! Ist es Luxus? Oder etwas ganz anderes und wenn ja, was?
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Ansonsten habe ich nebenher noch »Die lange Nacht über Voltaire« vom Deutschlandradio Kultur nachgehört, was ich sehr interessant fand. Wusstet Ihr z.B., dass Voltaire gelegentlich mittellose Mädchen unterstützt hat, indem er sie adoptierte, um ihnen »zu einer guten Ehe zu verhelfen«?
Hallo Liisa, ach wie schön wieder hier bei dir lesen zu können. Habe es über die ganze Zeit immerzu versucht und mir schon so meine eigenen Gedanken gemacht. Nun ist alles wieder gut! Zu schön.
Viele Grüße gen Norden und an den Garten und den hellmitteldunkelgrünen (?) Daumen *lach*. Winke und dir eine schöne Sommerzeit mit den Pflanzen und Bildern und Geschichten (sowie eine tolle Ernte)…..herzlich, die Trude.
Danke Dir Trude. Ich freue mich auch, dass ich wieder bloggen kann. :-)
Tja, und was die Farbe des Daumens angeht, vielleicht ist er inzwischen tatsächlich mit einigen grünen Punkten versehen. :-D