Mein Hoffen, dass in der Nacht auch bei uns Schnee fallen könnte, war nicht vergeblich, wie ich gleich nach dem Aufwachen feststellen konnte. Irgendwann in der Nacht hatte es begonnen zu schneien und nun lag alles unter einen schönen Schneedecke und es schneite immer noch.
Es war so viel Schnee, dass das Vogelhäuschen das draußen hängt, nur noch eine große Schneekugel war, die da im Wind baumelte. Vom Vogelhäuschen war fast nichts mehr zu sehen, geschweige denn, dass die armen Piepmätze an das Futter gekommen wären. Also erste Aktion des Tages, raus auf dem Balkon und in den Schnee, das Vogelhäuschen bergen und dann wenigstens soweit vom Schnee zu befreien, dass die hungrige Vogelschar wieder an die Körner kam. Bis das geregelt war, war ich schön beschneit und erfrischt. Es gibt schlimmere Starts in den Tag.
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Ich war mal wieder sehr dankbar dafür, dass mein Rechner per Kabel mit dem Internet verbunden ist (also nicht zwingend nur mit Wlan), und dass mein iPad mini im Ernstfall auch ohne Wlan online gehen kann. Unser Haus-Wlan machte nämlich immer noch keinen Mucks. So konnte ich fröhlich vor mich hinarbeiten.
Im Laufe des Tages gelang es dann aber doch, es wieder in die Gänge zu bekommen, was die Situation auch für die drei anderen WG-Mitbewohner wieder entspannte. Unglaublich, was alles nicht läuft und funktioniert und zum Erliegen kommt, nur weil so ein Wlan nicht funktioniert wie es soll.
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Vor und nach dem Mittagessen befreite ich die große Thuja vom Schnee, der inzwischen sehr nass und damit schwer war, damit ihre Zweige nicht brachen. Es schnieselte immer wieder ein bisschen, aber zugleich taute es. Und es hob an ein großen Tropfen und Platschen. Schade, ich hatte gehofft, der Schnee würde länger liegen bleiben, denn angeblich sollen die Temperaturen jetzt weiter fallen und auch im Keller bleiben.
Der zurückgekehrte WG-Mitbewohner hatte schon eifrig die Schneeschaufel geschwungen. Ich war aufrichtig dankbar, dass er rechtzeitig zu den gefallenen Schneemassen zurück war. Es hätte mir deutlich mehr Mühe und Kräfte abgefordert, den nassen, schweren Schnee auf dem ganzen Gelände wegzuschippen, als bisher.
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Anschließend überredete mich mein Yoda (aka »die andere WG-Mitbewohnerin) zu einem Spaziergang durch das verschneite Dorf.
Der Räumdienst war noch nicht gekommen und so sah das Dorf hübsch romantisch aus. Nur auf der einen Straße, die stärker befahren wird, war es richtig matschig.
Ansonsten drohte höchstens Gefahr von oben, weil es von den Bäumen tropfte und ab und an die auf den Zweigen angesammelten Schneehaufen ins Rutschen kamen und herunterplatschten. So eine Ladung möchte man ungern in den Kragen bekommen. Es ging aber auch in dieser Hinsicht alles gut.
Auf ein bisschen Schlittern auf dem See verzichteten wir wohlweislich. Die Eisdecke sah dann doch noch ein bisschen arg dünn aus. Immerhin hatte ich am Ende unserer Tour meine gewünschte Tagesschrittzahl erreicht und wurde vom Fitbit-Tracker mit einem kleinen virtuellen Feuerwerk belohnt.
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Während ich mich aufwärmte, sah ich mir an, wie Barak Obama seinen Vizepräsidenten, Freund und Bruder Joe Biden mit der Presidential Medal of Freedom with Distinction überraschte und eine lange sehr persönliche Rede auf ihn hielt. Joe Biden wiederum bedankte sich mit einer ebenso persönlichen Rede. Was für eine außergewöhnliche Freundschaft und Reise diese beiden so außergewöhnlichen Männer in den letzten acht Jahren hatten! Zumindest die Freundschaft endet nicht mit der Präsidentschaft.
Warum nur bringen wir in Europa, geschweige denn Deutschland, nicht wenigstens ab und an mal Politiker von einem solchen Kaliber hervor? Man möchte weinen, wenn man im Vergleich unsere politisch führenden Köpfe anschaut. Nunja. Andererseits, das arme Amerika bekommt nun einen T. Als ob das Schicksal etwas ausgleichen wollte. Dann vielleicht doch lieber graues langweiliges Gleichmaß, wie bei uns?
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Diesen Artikel über den Zufall gelesen und mir anschließend meine eigene Gedanken darüber gemacht.
Ich glaube, der Mensch kann den Zufall so schlecht annehmen, weil dazu gehört, die eigene Unbedeutsamkeit zu akzeptieren. Der Mensch will wissen und kontrollieren können, in Schubladen einordnen, Gesetzen folgen, etwas selbst erreicht haben usw. usf.
Zu sehen, dass die glänzende Karriere, die ich hingelegt habe, nicht in erster Linie auf meinen unglaublichen Fähigkeiten und Kenntnissen beruht, sondern auf lauter Zufällen, wer will das schon?
Der reine Zufall, dass ich auf dem Kontinent Europa geboren bin und dazu noch im reichsten Land auf diesem Kontinent, in Deutschland. Ich hätte auch in einem Slum in Bangladesh geboren worden sein, würde dann heute vielleicht in einem Sweatshop sitzen und mir die Finger wund und die Augen blind nähen, oder wäre schon längst bei einem Brand in einem dieser unseligen Shops ums Leben gekommen. Glück gehabt, oder? Vielleicht wäre ich aber als Näherin in Bangladesh, die von der Hand in den Mund und ohne Krankenversicherung lebt, im tiefsten Kern glücklicher geworden, als ich es hier in all dem Wohlstand je war? Wer weiß das schon?
Der Zufall ist beängstigend und mächtig. Mächtiger als uns oft lieb ist. Aber ich finde ihn auch tröstlich. Jede Entscheidung, jede nicht getroffene Entscheidung, kann den Lauf eines Lebens komplett verändern. Es braucht nicht mal eine - vielleicht sogar lang durchdachte oder spontane - Entscheidung.
Ein Zug fällt aus, und ich wähle einen anderen Heimweg. Unterwegs fällt mir ein, dass ich vergessen habe Brot zu kaufen. Also gehe ich noch schnell zum Bäcker, der am Weg liegt und wegen der 5 Minuten, die ich beim Bäcker bin, entgehe ich einem furchtbaren Unfall. Was für ein Glückspilz ich doch bin! Wirklich? Vielleicht wäre ich eher ein Glückspilz, wenn ich bei dem Unfall ums Leben gekommen wäre. Weil nach diesem Tag andere Dinge und Zufälle eintreten, die mein Leben zur Hölle machen, so dass alle sagen, was für ein Pechvogel ich doch bin. Was wissen wir schon?
Wir Menschen sind so schlecht darin, mit Unwägbarkeiten und Unerklärlichem klarzukommen. Wir wollen für alles die Deutungshoheit, weil das Kontrolle bedeutet und Kontrolle ist Macht. Von allen Seiten wird uns gepredigt, dass wir alles kontrollieren und bestimmen können. Wir schmieden unser eigenes Glück! Und wehe dem, der das nicht will oder schafft! Der ist es natürlich alles selber schuld!
Den Zufall haben wir viel zu selten auf der Rechnung. Vielleicht, wenn wir den Zufall mehr auf der Rechnung hätten, wären wir gelassener, spontaner, mutiger oder sogar barmherziger, gnädiger mit uns und anderen?
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Vielleicht sollten wir einander viel öfter mal fragen: »Was bricht Dir das Herz?«