Im Dorf hinter den sieben Hügeln gibt es den Kirchberg. Kirchberge gibt es hier in vielen Dörfern.
Im Gebiet des heutigen Mecklenburg-Vorpommern siedelten einst germanische, dann aber auch slawische Stämme. In Mecklenburg waren das die Liutizen und deren Teilstämme, wie zum Beispiel die Zirzipanen, die in der Gegend hier siedelten, oder die Kessiner und die Ranen, aber vor allem aber der Stamm der Obodriten. Aus ihm erwuchs die Dynastie der Obodriten, und es waren die Obodriten-Großherzöge, die als sogenannte Bundesfürsten, bis 1918 (!) hier regierten!
Stammvater der Obodriten war Niklot, dessen eindrucksvolles Reiterstandbild noch heute die Hauptfassade des Schweriner Schlosses schmückt.
Sein Sohn Pribislaw verlor am 6. Juli 1146 die Schlacht bei Verchen am Kummerower See gegen Heinrich den Löwen. 1167 kam es zu einer Aussöhnung zwischen den beiden, Pribislaw erhielt sein Land als Lehen zurück und trat zum christlichen Glauben über.
Inwieweit er tatsächlich dem neuen christlichen Glauben anhing, ist eine ganz andere Frage. Und nur, weil der Stammesfürst zum Christentum konvertiert, folgt ihm noch lange nicht der ganze Stamm. Teilweise kam es zu gewaltsamer »Missionierung«.
Selbst in Teilen der slawischen Oberschicht wurde der christliche Glaube häufig nur als Bemäntelung für weltliche Herrschaftsansprüche genutzt. Kurz und gut, der Glaube an die slawischen Götter hielt sich noch sehr lange im Volk. Die »überzeugten« Christen blieben lange eine Minderheit unter den »Heiden«.
Der weitere Verlauf der Geschichte bis in die jüngere Zeit (Nazi-Herrschaft und SED-Herrschaft) war für das Christentum auch nicht wesentlich förderlicher.
Vielleicht ist diese Vorgeschichte, ein Grund dafür, dass hier nicht wenige Kirchen auf Erhöhungen oder Hügeln erbaut sind. Einerseits, um sie besser gegen Angriffe und Anfeindungen heidnischer Bevölkerungsgruppen verteidigen zu können, andererseits vielleicht, um ein christliches Zeichen mitten ins »Heidenland« zu setzen.
Zurück nun zu unserem Kirchberg. Der ist nun tatsächlich ein verwaister Kirchberg, denn die Kirche, die dort einmal stand, steht nicht mehr. Es gab Streitigkeiten zwischen den Anführern zweier Adelsfamilien darüber, wer denn nun der rechtmäßige Besitzer des Dorfes sei.
1520 eskalierte der Streit und einer der Streithähne riss die Kirche kurzerhand ein. Und das war nicht der Streithahn, der offiziell als Raubritter bekannt war.
Nur der Glockenstuhl mitsamt drei Glocken blieb stehen. Die bedauernswerte Kirche wurde nie wieder aufgebaut.
Doch auch den Glocken war die Geschichte nicht wohlgesonnen. Irgendwann in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges gingen die Glocken verloren.
Erst 1696 stifteten der Gutsherr des Dorfes und seine Gemahlin zwei neue Glocken und einen Glockenstuhl. Und auch diesen Glocken war kein dauerhaftes Dasein beschieden. 1944 mussten sie zu Rüstungszwecken abgeliefert werden.
Jahrzehntelang standen nur noch die Ruinen der alten Kirche auf dem Kirchberg. Erst 2001 bzw. 2002 wurden die alten Ruinen saniert und man beschloß einen neuen Glockenstuhl zu errichten und eine neue Glocke gießen zu lassen.
Neben den alten Ruinen steht nun wieder ein Glockenstuhl und aus den einstmals drei stolzen Glocken ist eine Glocke geworden. Mit ihr aber wird jeden Samstagabend, reihum, von Männern aus dem Dorf der Sonntag eingeläutet, und selbstverständlich wird sie auch an den hohen christlichen Feiertagen und zum Jahreswechsel geläutet. Die allesamt schon älteren Männer legen ihre ganze Ehre und Kraft in dieses Läuten. Ich liebe es, wenn die Glocke vom Kirchberg herüberklingt.
Wer sich als Besucher des Dorfes nicht zufällig auf den Kirchberg »verläuft«, oder auf den einen Wegweiser im Wald hinauf zur Ruine stößt, der kann nicht ahnen, dass dort oben auf dem Hügel die Ruinen einer uralten Kirche stehen und ein Glockenstuhl mit einer Glocke.
Von den Touristen, die den Weg hinauf zur Ruine finden, können allerdings die meisten nicht der Versuchung widerstehen, die alte Glocke wenigstens einmal anzuschlagen. Läutet die Glocke auf dem Kirchberg also zu fürs Dorf ungewohnter Zeit, schauen sich die Dörfler an, ziehen die Augenbrauen hoch und alle wissen, es sind wieder mal Touristen im Dorf unterwegs und sie haben die Kirchruine auf dem Kirchberg gefunden.
Der Kirchberg selbst ist umgeben von Wald, der im Laufe der Zeit direkt um ihn herum soweit ausgedünnt wurde, dass er in einen kleinen Waldpark übergeht. Uralte wild verzweigte Bäume stehen dort mit ihren mächtigen Kronen.
Der Kirchberg ist ein Ort, den ich in den vergangenen Jahren lieben gelernt habe. Er ist neben »unserem« Haussee der mir vielleicht liebste Ort im ganzen Dorf. Und in letzter Zeit ist meine Liebe für ihn noch größer geworden. Tatsächlich ist er nämlich in seiner Abgeschiedenheit (mitten im Dorf) Heimat vieler unterschiedlicher Vögel, die hier weitgehend in Frieden leben und nisten.
Seit ich mich aufs Vögel beobachten verlegt habe, zieht es mich immer wieder auf den Kirchberg, wo ich mich freue, die unterschiedlichsten Vögel zu entdecken und zu beobachten.
Erst vor wenigen Tagen entdeckte ich, dass sich auf dem Kirchberg eine kleine Gimpelbande eingerichtet hat. Es sind, soweit ich es bisher beobachten konnte, fünf oder sechs Gimpelpärchen, die zusammen etwa vier bis fünf alte Bäume in Beschlag genommen haben, und es sich dort gut gehen lassen.
Ich liebe es, wenn ich langsam und leise näher komme, ihr zartes Gezwitscher miteinander zu hören. Ich könnte ihnen stundenlang zusehen, wie sie abwechselnd oder hintereinander von einem der Bäume zum nächsten fliegen. Wie sie in den Zweigen herumhüpfen, die Männchen in ihren Prachtkleidern mit dem herrlichen Rot. Wie sie zwischendrin auf dem Waldboden im Laub des Vorjahres herumrascheln, auf der Suche nach Samen oder kleinen Würmchen, oder sich einfach von der Sonne bescheinen lassen.
Ich bin schon sehr gespannt, ob ich, wenn die Brutzeit beginnt, entdecken kann wo sie ihre Nester bauen, und vielleicht sogar die Aufzucht ihrer Vogeljungen beobachten kann.
Ich habe sie sehr ins Herz geschlossen, die kleine Gimpelbande auf dem Kirchberg!