Nachdenkliches ·Privates ·Soziales ·Tagesnotizen 2018

Februar-Fragmente

Der Tag begann mit einer netten Überraschung. In der Nacht hat es etwas Neuschnee gegeben. Zwar nur eine dünne weiße Decke, aber immerhin. Es müssen große Flocken gewesen sein, die da vom Himmel kamen und am Boden direkt festfroren. Die Schneedecke war darum nicht glatt sondern eher … hmm … (f)lockig. Am Morgen schien dazu die Sonne wunderbar vom blauen Himmel. So macht der Tagesbeginn doch gleich viel mehr Spaß!

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Mir ging heute gedanklich die Dokumentation »Die Musik meines Lebens - Alive Inside« nach, die ich gestern sah.

Die Doku begleitet über mehrere Jahre die Arbeit von Dan Cohen, dem Gründer des Programms »Music & Memory«, das mit Hilfe von personalisierter Musik Menschen mit Alzheimer aus ihrer Isolation holt.

Dass Musik oft das Letzte ist, auf das Menschen in fortgeschrittenen Stadien von Alzheimer noch reagieren, ist eigentlich nichts Neues. Ich habe das schon selbst in Altenheimen beobachten können.

Es ist faszinierend, verblüffend und sehr berührend, zu sehen, was Musik mit Menschen macht, und so ist es auch, wenn man die Menschen in der Doku sieht. Fast nicht mehr ansprechbar oder nur noch aggressiv, dann die Musik und die augenblicklich einsetzende Veränderung.

Die Doku erzählt aber nicht nur davon, sondern auch vom Kampf mit den Institutionen, den Cohen führen musste. Einmal ganz grundsätzlich, weil Neuerungen oder Veränderungen eher skeptisch gesehen werden, weil sie den routinierten Ablauf stören könnten und überhaupt, »das haben wir noch nie gemacht«. Zum anderen ist es auch (oder gerade) in Amerika häufig eine Frage des Geldes.

In der Doku wird aber auch grundsätzlich über den Umgang mit alten Menschen nachgedacht und debattiert. Natürlich alles vor dem amerikanischen Hintergrund, aber es gibt durchaus Parallelen und Überschneidungen zur Situation hier in Deutschland.

Mir hat gefallen, dass es Cohen von Anfang an, nicht (nur) darum ging, in einzelnen Altenpflegeheimen etwas zu verbessern, sondern dass er grundsätzlich möglichst in allen amerianischen Altenpflegeheimen eine Veränderung und Besserung herbeiführen wollte.

Spannend fand ich in dem Zusammenhang, dass ein Arzt und Gerontologe mit dem er zu tun hatte, erzählte, dass er selbst vor vielen Jahren versucht hatte, Tiere, Pflanzen und Kinder mehr in die Altenpflegeheime zu holen, weil er beobachtet hatte, wie gut das den alten Menschen tat, und wie er damit gescheitert war und warum.

Es geht in der Dokumentation um weit mehr als nur Alzheimerkranke. Es geht um die Frage, wie sieht es in unseren Alter- und Pflegeheimen aus? Wie wollen wir unsere Eltern versorgt sehen, wenn sie alt und krank sind und in Heime müssen? Wie wollen wir selbst im Alter behandelt werden?

Ja, eigentlich wird hinterfragt, wie wir das Alter und alte Menschen überhaupt sehen (oder eben ausblenden und übersehen).

Das Thema Pflege (auch in Altenheimen) ist ja durchaus auch in Deutschland in der Diskussion. Und zwar nicht erst seit gestern. Immer wieder hören wir von Missständen und … vergessen es meist wieder, es sei denn, es betrifft direkte Angehörige oder Freunde von uns. Wir wollen uns mit der Thematik nicht auseinandersetzen und die Missstände bestehen fort.

Irgendwann landen auch wir vielleicht in solchen Heimen und wenn man davon ausgeht, dass das Thema Altersarmut viele von uns betrefffen wird, werden das sicher nicht die besten (und damit teuersten) Heime sein. Dann aber wird es zumindest für uns zu spät sein, wenn die Missstände nicht behoben sind. Wobei es zynisch ist, sich erst dann um Missstände zu kümmern, wenn es einen plötzlich selbst betrifft. Aber so ist der Mensch anscheinend gestrickt.

Eine Rolle spielt natürlich auch, dass uns eher das Bild der aktiven und größtenteils gesunden Alten kommuniziert wird. Gerade auch in der Werbung und in Filmen. Und in Filmen ist der Plot meist so gestrickt, dass dem kranken und alten Menschen unverhofft ein paar nette Menschen zur Hilfe kommen, die Missstände beheben und am Ende sind alle glücklich. In der Realität sieht es meist ganz anders aus. Aber wir wollen lieber die rosa Variante glauben.

Wo sehen wir uns wenn wir uns, für ein paar Momente, uns selbst im Alter vorstellen? Im Kreis der lieben Kinder und Enkelkinder? In einer altersgerechten Wohngemeinschaft? In einem Mehrgenerationenhaus oder -projekt? Ja, vielleicht sieht das Umfeld unseres Alter für einige von uns am Ende tatsächlich so aus. Für die Masse von uns wird es nicht so aussehen, egal wie sehr wir es uns anders wünschen mögen. Die Masse von uns wird die letzte Teilstrecke des Lebens in Pflege- und Altersheimen zubringen.

Das ist die Wahrheit und Realität, der wir uns stellen müssen. Und das besser früher als später. Wir müssen heute hinschauen, was in den Heimen in Deutschland geschieht oder nicht geschieht. Wir müssen uns den Missständen stellen und uns endlich darum kümmern, dass sie behoben werden. Die Realität ist jedoch vielfach eine andere.

Wir lassen Missstände zu. Wir schauen weg. Wir engagieren uns nicht. Wir fordern nicht, dass etwas verändert und dagegen getan wird. Wir überlassen es der Politik und dem Staat und der hat ganz andere Prioritäten. Die Pflege wird nicht vom Menschen her gedacht (weder auf die zu Pflegenden noch auf die sie Pflegenden bezogen), sondern ist bestimmt von wirtschaftlichem Denken, von der Bezahlbarkeit, von der Effektivität der Abläufe, etc.). Das rächt sich bitter. Schon jetzt ist vieles in Pflegeheimen wegen der äußeren Rahmenbedingungen nicht menschenwürdig und das wird eher schlimmer als besser.

Erschüttert hat mich die Tatsache, dass es in Amerika nur 6000 Geriater bei einer Bevölkerung von rund 325,4 Millionen Einwohnern gibt, und die Zahlen sinken. Ich weiß leider nicht, wie viele Gerontologen es im Verhältnis zur Bevölkerungszahl in Deutschland gibt. Ich vermute, das Verhältnis ist besser als in den USA. Aber wir müssen von steigenden Zahlen alter Menschen ausgehen und die Berufsfelder rund um die Pflege und Versorgung alter Menschen sind auch in Deutschland nicht gerade beliebt und überlaufen. Man muss also eher von einer zukünftigen Verschlechterung der Situation auch in diesem Bereich ausgehen.

An einer Stelle der Dokumentation heisst es, dass das Alter mit Geben verbunden ist. Dass es immer Bedarf für die Gaben der Alten gab. Und dann wird die Frage gestellt, ob das auch für unsere heutige Welt gilt. Hat das Alter in unserer Welt und Gesellschaft noch einen Platz.

»Wir lernen von Kindesbeinen an, dass das Erwachsenenalter der Höhepunkt unserer Existenz ist, und dass alte Menschen eigentlich nur gebrechliche Versionen ihres früheren unglaublichen Selbst sind.«

Solange alte Menschen noch irgendwie in der Lage sind, etwas zur Gesellschaft beizutragen, haben sie noch einen Platz, werden sie noch wahrgenommen. Aber was ist, wenn sie dazu nicht mehr in der Lage sind? Wenn sie dauerhaft und ständig auf Hilfe angewiesen sind? Wie sehen wir sie dann? Als störende Faktoren, die unsere Sozialkassen belasten (und zwar zunehmend)? Sperren wir sie weg? Grenzen wir sie aus? Übersehen und ignorieren wir sie und ihre Lebensumstände und -lagen?

Und mal ganz abgesehen von den Kosten, kümmert es uns, wie ihre Lebensqualität aussieht? Wie viel menschlichen Kontakt räumen wir ihnen noch ein? Wie viel Chancen geben wir ihnen, noch mit uns in Kontakt stehen zu können? Verlassen wir uns darauf, dass sich schon »irgendjemand« kümmern wird? Der Staat? Familienangehörige? Freunde? Das Pflegepersonal?

Wie soll das in Zukunft aussehen? Was ist mit denen, die keine Familien haben? Was ist mit denen, denen alle Freunde weggestorben sind? Der (Deutsche) Staat hat sein Augenmerk ganz woanders und bevor er sich um die Lage der Alten (und Kranken) kümmert, kommen erst viele andere »vorrangige« Themen, etc. Das merken wir ja jetzt schon.

Erst vor kurzem gab es auf Twitter viele viele Tweets, in denen Pflegende aus Krankenhäusern berichteten, was dort los ist und Missstände offenlegten. Mir (und vielen anderen) standen die Haare zu Berge. Der Schrei und Appell nach Veränderung und »Es muss etwas passieren und zwar jetzt«« war vielfach zu hören. Und? Was passiert tatsächlich? Was wird behoben? Was wird verbessert?

Von staatlicher Seite heißt es, man habe den Protest des Pflegepersonals gehört (den es ja schon länger gibt und nicht nur auf Twitter), und werde sich kümmern.

8000 neue Stellen sollen in einem ersten Schritt geschaffen werden (ein Tropfen auf den heißen Stein, mehr nicht). Und, wann folgen der zweite und dritte und vierte Schritt?

In den Koalitionsverhandlungen jedenfalls spielten die Pflege oder die Situation der alten Menschen keine herausragende Rolle. Man will eine weitere Kommission einrichten, die mal überlegen soll … tja …

Was wollen und müssen wir tun? Wie wollen wir unsere Angehörigen altern sehen? Wie wollen wir selber unser Altern erleben? Wir werden ernten, was wir gesät haben, das ist mal klar. Hoffentlich wird es nicht ein sehr böses Erwachen geben.

Ich empfehle Euch von Herzen, Euch die Zeit zu nehmen, diese wichtige und berührende Dokumentation anzuschauen. Sie ist noch bis 18.03.2018 in der ARTE Mediathek zu sehen.

4 Gedanken zu „Februar-Fragmente

  1. Die Dokumentation habe ich auch gesehen. Und war ähnlich beeindruckt. So etwas simples eigentlich, wie jemandem die Musik seiner Jugend mitzubringen. Ja es ist oberdringend überfällig, dass sich im Pflegebereich was tut. Pflege von Wirtschaftlichkeit her zu denken verroht die PfIege. In den Niederlanden gibt es ein Konzept, das mir sehr gefällt, weil es die Alten etwas geben lässt: Die Wohnstudenten. Ein Altersheim hat Studierende aufgenommen, die kostenlos im Altersheim wohnen und sich verpflichten, 30 h den Monat etwas mit den Altenheimmenschen zu unternehmen - wohlgemerkt, keine Pflegearbeit! Beide Seiten lernen unglaublich viel voneinander und wertschätzen sich neu. Viele Grüße u Danke für Deinen Post. Eva

  2. Ein schöner Text mit interessanten Gedanken. Aus persönlichen Gründen - Familienmitglied erleidet Schlaganfall - muss ich mich zum ersten Mal konkret mit den Themen Altwerden, Altsein und Pflegebedürftigkeit auseinandersetzen. Der rechte Text zur rechten Zeit dank @ReadOn

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