Fragmente

Fragmente #22

Spät erst eingeschlafen (gegen halb zwei in der Nacht), um Punkt 4 Uhr wieder aufgewacht. Nicht wieder einschlafen können. Um Viertel vor 5 aufgegeben und etwas gelesen. Um 6:30 Uhr aufgestanden.

Immerhin, dem ersten Vogel am Morgen zuhören können. Die Singdrossel war’s! Gesehen, wie der blasse Fast-Vollmond im Schein der aufgehenden Sonne plötzlich goudagelb wurde, und die wenigen Wolken sich in zuckerwatterosa hüllten, bevor sie nach kurzer Zeit zu milchweißen Schlieren zerflossen.

Die Kastanienwipfel glühen im morgendlichen Licht, und das eigentlich frische helle Grün der sich nur millimeterweise hervorschiebenden Blätter wirkt schlammiggelb. Ab und zu fliegen große dunkle Vögel in großer Eile vorbei, als müssten sie zu einem morgendlichen Appell. Der Buchfink schreit fortgesetzt nach seinem Weizenbier.

So beginnt die neue Woche und lässt keine verlässlichen Rückschlüsse darüber zu, was sie bringen wird. Sicher scheint nur, wir alle werden weiter leiden unter der gegenwärtigen Klaustrophobie des Raumes und der Zeit. Wobei die Klaustrophobie der Zeit schwerer zu ertragen ist.

Die Zeit scheint stillzustehen und zugleich zu verschwimmen. Ein andauernder Murmeltiertag, eine Zeitschleife, in der wir gefangen sind. Längst raten wir nur noch welcher Wochentag, welcher Monat wohl gerade ist, und halten vergeblich Ausschau nach dem Zukunftshorizont. Vielleicht ist es aber auch eine Gnade, dass wir den (noch) nur ahnen können. So können wir ihn uns wenigstens noch eine Weile schönmalen - als Silberstreif.

Wo ist oben, wo ist unten, was ist gut und was ist böse, was ist klug und sinnvoll, was ist dumm und leichtsinnig? Wer weiß das schon so genau in diesen Tagen. Wir reden uns nur ein, wir wüssten ganz genau Bescheid. Und je weniger wir tatsächlich wissen, desto aggressiver verteidigen wir unsere (Schein)Positionen. Die Entfremdung greift um sich und treibt uns vor sich her.

Ein jeder steigt auf seine Weise auf sein Surfboard, versucht die Wellen der Pandemie zu reiten, irgendwie. Hauptsache, am Ende noch am Leben. Ein Spaß ist dieser wilde Ritt nun leider nicht. Doch es hilft alles nichts, wir müssen, egal wie sehr die Muskeln und die Seele schmerzen, wie müde wir den Ritt, die Wellen längst sind.

Vorwärts müssen wir, immer vorwärts, immer weiter. Oder ist es eher ein Dürfen? Wir sind noch da! Wir kämpfen noch. Wir stehen wieder auf. Wir steigen wieder auf das Surfboard, oder klammern uns zumindest daran fest.

Es ist Montag, der 26. April 2021 und wir leben noch.