Privates ·Tagesnotizen 2015

Tagesnotizen

Ein Tag der Frühling über das Land atmete, ganz lind und friedlich. Überall blühen die Krokusse jetzt in allen Farben. Auf den Wiesen und Äckern stolzieren schon wieder die ersten Kraniche und lassen ihre durchdringenden Trompetenstöße hören. Überhaupt, mit jedem Tag werden es mehr Vögel. Mit Wehmut habe ich heute die letzte Tüte Vogelfutter geöffnet. Noch zwei Tage, dann ist die Fütterungssaison bei uns vorüber. Dann sind nur noch drei oder vier Meisenknödel zum Verfüttern da. Zum Abschied kam sogar der Buntspecht heute nochmal vorbei, nachdem er sich Wochen nicht hatte blicken lassen. Wenn er das Vogelhäuschen anfliegt, hängt das auf Halbmast. Passt ja irgendwie. Die kleineren Vögel sind gar nicht schüchtern im gegenüber und landen weiter rund um ihn herum und picken Körner, Samen und Nüsse. Wenn es nach mir ginge, würde ich rund ums Jahr füttern, aber dazu veranstalten die kleinen gefiederten Kerlchen doch ein bisschen zu viel Dreck auf dem Balkon und im Sommer haben sie zudem hier eh keine Probleme genug Futter zu finden. Ich werde das fröhliche Treiben vor meinem Fenster vermissen.

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Heute ergab sich ein längeres Gespräch mit einer Einheimischen. Sie berichtet mir von Menschen in ihrem Umfeld, die ihr Leben streng nach dem Mondkalender führen und schüttelte dabei irritiert den Kopf.

Im nächsten Moment erzählte sie dann von ihrer sehr abergläubischen Großmutter. Die fuhr glatt aus der Haut, wenn jemand in Monaten, die im Namen ein »r« tragen, Wäsche nach draußen hängte. Zwischen Großmutter und Enkelin kam es häufig zu erbitterten Disputen, denn die Enkelin vertritt die Ansicht, wenn das Wetter schön ist, soll die Wäsche nach draußen - »r« hin oder her.

Die Großmutter achtete auch darauf, dass niemand unter einer Leiter hindurch ging und auch sonstige vom Aberglauben angeratene Verhaltensweisen befolgt wurden und hatte immer eine Pfauenfeder in ihrer Wohnung stehen. »Das dritte Auge, das über allem wacht!«, führte meine Gesprächspartnerin aus und nickte dabei bestätigend mit dem Kopf.

Sie selbst, so erzählte sie weiter, habe als ihre Kinder klein waren, eine Nadel in deren Matratzen und auch in die Unterlage im Kinderwagen gesteckt, »um Böses« abzuwehren. Man hätte ja nie wissen können, wie die Menschen, die einen Blick in den Kinderwagen warfen, gesinnt waren. »Ich wollte ja nicht, dass die einen Fluch auf meine Kinder legen!« Spätestens hier schüttelte ich innerlich den Kopf.
Bis heute stecke auf der Unterseite der Matratzen ihrer Kinder eine Sicherheitsnadel. Kürzlich habe ihre älteste Tochter ihre Matratze umgedreht und dabei die Sicherheitsnadel (im buchstäblichen Sinne) entdeckt. Auf die Frage der Tochter, was die Sicherheitsnadel da solle, beschied ihr die Mutter, die solle sie man schön lassen, wo sie sei!

Die Mecklenburger und Vorpommern sind ja sowieso als »Heiden« verschrien. Hier hielten sich auch die heidnischen slawischen Fürsten am längsten und bekamen sogar noch nach der Christianisierung religiöse Sonderrechte eingeräumt. Spätere Entwicklungen, wie die Nazizeit und das dem Christentum ebenfalls ablehnend gegenüberstehende DDR-Regime, zementierten das alles noch. Wobei die meisten echten Mecklenburger und Vorpommern heutzutage meiner Erfahrung nach religiös gesehen eine seltsame Mischung aus Aberglaube, Heidentum, Esoterik und Atheismus sind. Kann man kaum zusammendenken, aber sie bekommen das irgendwie hin, natürlich mit prozentual unterschiedlichsten Gewichtungen der jeweiligen Elemente.

An und für sich sind sie sehr zurückhaltend und verschwiegen, was ihre eigene religiöse Ausrichtung angeht. Nur hier und da fallen mal ein paar Sätze, die Einblicke geben und Rückschlüsse zulassen. Da erlebe ich dann schon die ein oder andere Überraschung, was Leute, die eigentlich über eine dem 21. Jahrhundert angemessene Bildung und Ausbildung verfügen, im »religiösen« Bereich zu glauben bereit sind.

Später als ich nochmal über das Gespräch nachdachte, kam mir der Gedanke, ob Menschen, die eher pessimistisch sind, bzw. ein Grundmisstrauen gegenüber anderen Menschen und dem Leben überhaupt pflegen, unter Umständen eher prädestiniert sind, dem Aberglauben anzuhängen.

Mir ist die Welt des Aberglaubens zwar theoretisch bekannt aber es ist mir völlig fremd, den Sprüchen die damit verbunden sind, tatsächlich zu glauben, geschweige denn mein Leben danach auszurichten. Als ich meine Gesprächspartnerin fragte, ob die ergriffenen »Abwehrmaßnahmen« des Aberglaubens nicht im Grunde besagen, dass man vom Leben bzw. anderen Menschen grundsätzlich eher Negatives (Böses) als Positives (Gutes) erwarte, stimmte sie ohne Zögern sofort zu.

Ich fand das irgendwie ziemlich traurig.

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